Die ElektromobilitĂ€t ist auf den ersten Blick ein groĂer Stromverbraucher, der eine zusĂ€tzliche Belastung fĂŒr das Stromnetz darstellt. Gleichzeitig liefert sie in Verbindung mit Smart Charging einen Mehrwert fĂŒr das kĂŒnftige intelligente Stromnetz (Smart Grid). Zu den neuen Eigenschaften von ISO 15118â20 zĂ€hlt unter anderem Bidirectional-Power-Transfer (BPT), also die Möglichkeit von Elektrofahrzeugen, nicht nur Energie aus dem Netz zu entnehmen, sondern im Bedarfsfall auch Energie dorthin zurĂŒckzuspeisen. Die aktuelle Situation der drohenden Energieknappheit verleiht diesem Aspekt besondere Bedeutung, insbesondere vor dem Hintergrund des steigenden Anteils regenerativer Energiequellen.
Die regenerativ erzeugte Energiemenge ist naturgemÀà gröĂeren Schwankungen unterworfen und im Detail nicht planbar. Kann das Gleichgewicht zwischen erzeugter und verbrauchter Energie nicht aufrechterhalten werden, droht ein Netzkollaps. Millionen von Elektrofahrzeugen, die in so einem Moment mit dem Netz verbunden sind, können dazu beitragen dies zu verhindern. Zusammen bilden sie einen dezentralen Energiespeicher, der in der Lage ist, den Ladebetrieb zu stoppen und sogar auf RĂŒckspeisebetrieb umzuschalten, um das Netz zu stabilisieren. Dabei geht es keineswegs darum, das ganze Land durch Fahrzeuge mit Strom zu versorgen, sondern die Anlaufzeit der Kraftwerke fĂŒr die PrimĂ€rregelung zu ĂŒberbrĂŒcken. Voraussetzung dafĂŒr ist Smart Charging mit einer Ladekommunikation nach ISO 15118â20 zwischen Fahrzeug und LadesĂ€ule.
Neue Funktionen in ISO 15118-20
Die ISO-Norm 15118 definiert die Grundlagen der Ladekommunikation fĂŒr das in Europa und den USA vorherrschende Ladesystem CCS (Combined-Charging-System). CCS nutzt dieselbe Steckverbindung (CCS-Type-2) sowohl zum Laden mit Wechselstrom (AC-Laden) als auch zum Schnell-Laden mit Gleichstrom (DC-Laden). Aktuell produzierte und zugelassene Elektrofahrzeuge unterstĂŒtzen idealerweise ISO 15118-2 in der sogenannten ersten Generation, welche fĂŒnf Teildokumente umfasst.
Das im April 2022 veröffentlichte Teildokument ISO 15118-20, "Network Protocol and Application Protocol Requirements", gehört zur zweiten Generation und stand daher im Mittelpunkt des diesjĂ€hrigen Vector-E-Mobility-Symposiums in Stuttgart (Bild 1). Es ersetzt das Teildokument ISO 15118-2 und beschreibt die Anforderungen an das Netzwerkprotokoll sowie das Anwendungsprotokoll. Die Neuerungen finden sich in den Bereichen Energy-Transfer-Modes, Physical-Layer sowie Security. Als neue Energy-Transfer-Modes kommen neben dem bereits beschriebenen Bidirectional-Power-Transfer (BPT) zusĂ€tzlich Wireless-Power-Transfer (WPT) sowie Automatic-Connecting-Device-Pantograph (ACD-P) hinzu. Als Physical-Layer fĂŒr die drahtlose Kommunikation dient WLAN gemÀà IEEE 802.11n. ZusĂ€tzlich ist in ISO 15118-20 eine TLS-VerschlĂŒsselung mit beidseitiger Authentifizierung nach TLS 1.3 fĂŒr die Ladekommunikation immer vorgeschrieben, unabhĂ€ngig davon ob Plug and Charge (PnC) genutzt wird oder nicht. Im April 2023 veröffentlichte die Internationale Organisation fĂŒr Normung die gesamte ISO 15118-20.
Beim Thema BPT ist hinzuzufĂŒgen, dass kĂŒnftige Elektrofahrzeuge auch Haushalte notversorgen beziehungsweise umgekehrt als Energiespeicher fĂŒr die von Solarzellen selbst erzeugte Energie fungieren können. Eine wichtige Voraussetzung fĂŒr BPT ist der Dynamic Mode, bei dem das Fahrzeug die Ladesteuerung an die Infrastrukturseite abgibt. Vom Smart Grid können Fahrzeuge so den Befehl erhalten, den Ladevorgang zu drosseln, zu pausieren oder sogar Energie zurĂŒckzuspeisen. Beim Scheduled Mode liegt wie bisher die Entscheidung beim Fahrzeug. Gier kann das Smart Grid lediglich Anreize ĂŒber niedrige Preise geben, um den Ladevorgang des Fahrzeugs zu beeinflussen.
Automatisch und bequem: WPT und ACD
Wireless-Power-Transfer nutzt das physikalische Prinzip der induktiven EnergieĂŒbertragung auf Basis von IEC 61980 und kann das Laden grundlegend vereinfachen, insbesondere in Verbindung mit PnC. Der Ladeprozess startet automatisch, ohne dass ein Ladekabel angeschlossen sein muss. Dazu definiert der Standard unter anderem Funktionen zur Feinpositionierung, fĂŒr das Pairing und zum PrĂŒfen der Ausrichtung des Fahrzeugs ĂŒber der Bodenplatte. Aktuell steht ausschlieĂlich statisches Laden im Fokus. KĂŒnftig ist WPT auch semi-dynamisch denkbar, beispielsweise an Taxi-StĂ€nden oder vor Ampeln.
ACD-P, Automatic-Connection-Device-Pantograph, ermöglicht zum Beispiel Elektrobussen im Depot ein automatisches konduktives Laden via Pantographen. Leistungen von mehr als 350 kW sind so realisierbar. FĂŒr die nĂ€chste Revision sind weitere ACD-Verfahren geplant, wie automatisierte KoppelvorgĂ€nge entweder per CCS-Steckverbindung (ACD-S) oder mittels eines Arms, der ein Ladesystem am Boden mit dem Unterboden des Fahrzeugs verbindet (ACD-U).
E-Mobility: Laden
Wo und wie lÀsst sich ein E-Auto aufladen? Welche Leistungselektronik steck in einer LadesÀule? Wie wird die LadesÀule intelligent? Halbleiter, Hochvolt-Komponenten, Stecker, Kabel, Wallboxen, Kommunikation, Infrastruktur, Standards, Services und mehr. Die Technologien dahinter finden Sie hier.
Zahlreiche Detailverbesserungen in der Ladekommunikation
Bei ISO 15118-20 sind gegenseitige Authentifizierungen von Fahrzeug und Infrastruktur erforderlich. WĂ€hrend bei ISO 15118-2 Ladestationen nicht erkennen können, ob es sich bei der Gegenstelle tatsĂ€chlich um ein Fahrzeug handelt, ist dies bei ISO 15118-20 nun standardmĂ€Ăig möglich. Dazu sind Zertifikate erforderlich, sodass die volle FunktionalitĂ€t der Ladestation nur Fahrzeugen zur VerfĂŒgung steht.
Die neue Generation bietet eine verbesserte Handhabung von mehreren Vertragszertifikaten. WĂ€hrend ISO 15118-2 lediglich die Installation eines Vertragszertifikats pro Sitzung ermöglicht, lassen sich mit ISO 15118-20 beliebig viele nacheinander installieren. Zudem erlaubt ISO 15118 20 das Anbieten eines anderen Vertragszertifikates oder gar den RĂŒckfall auf die externe Identifikation (EIM) an der LadesĂ€ule, wenn die LadesĂ€ule das angebotene Vertragszertifikat nicht erkennt beziehungsweise ablehnt.
GemÀà neuem Standard muss zunĂ€chst der Nutzer entweder an der LadesĂ€ule oder mittels PnC autorisiert werden, bevor die LadesĂ€ule ihre verfĂŒgbaren Dienste anbietet. Die Infrastrukturseite könnte dadurch etwa zwischen eigenen Kunden, Roaming-Kunden oder GĂ€sten unterscheiden oder spezielle Tarif-Optionen berĂŒcksichtigen. Damit lĂ€sst sich beispielsweise bidirektionales Laden nur einer definierten Nutzergruppe anbieten, die zuvor speziellen Bedingungen zugestimmt hat. Zum Vergleich: Im bisherigen ISO-15118-2-Dokument war die Reihenfolge von Autorisierung und Dienstleistungsangebot genau umgekehrt, sodass nutzergruppenspezifische Dienstleistungen nicht möglich sind.
Höhere FlexibilitÀt in der Preisgestaltung
BetrĂ€chtliche Fortschritte bietet die ISO-Norm 15118-20 bei den Möglichkeiten der Preisgestaltung. Diese basiert nun auf absoluten Preisen statt auf dem relativen Preismodell, das sich an einem im Vertragszertifikat definierten 100-Prozent-Wert orientiert. Problematisch ist dabei, dass die Ladestation den 100-Prozent-Wert nicht immer zuverlĂ€ssig in Erfahrung bringen kann. Die zugrundeliegenden Kriterien fĂŒr den Preis können im neuen System vielfĂ€ltig sein. Der Preis lĂ€sst sich auf unterschiedliche Weise spezifizieren, beispielsweise per Kilowattstunde oder pro Minute des Parkens und Ladens. Es sind zudem Flat-Tarife definierbar oder minimale und maximale GebĂŒhren, der Nutzer zahlt zum Beispiel mindestens fĂŒnf Euro, aber höchstens 30 Euro als Obergrenze. Auch eine kombinierte Verrechnung in AbhĂ€ngigkeit von Parkdauer und Ladeleistung oder bezogener Energie ist möglich. Abbildbar sind damit GeschĂ€ftsmodelle, die es erlauben jene Nutzer kostenlos parken zu lassen, die mit hoher Leistung laden, wĂ€hrend bei niedriger Ladeleistung eine Park- und LadegebĂŒhr anfĂ€llt. Blockiert ein Fahrzeug die LadesĂ€ule ĂŒber den Ladevorgang hinaus (Overstay), besteht nun die Möglichkeit verschiedene Preismodelle abzubilden. Infrastrukturanbieter können Anwender, die das vereinbarte Zeitlimit ĂŒberschritten haben oder mit zu niedriger Leistung laden, mit einem höheren Preis abstrafen.
In ISO 15118-2 bestimmt die Ladeelektronik im Fahrzeug die maximale Ladeleistung gemÀà dem verwendeten Ladeprofil. Wenn das Fahrzeug dabei mehr Ladeleistung reserviert als es tatsĂ€chlich nutzt, kann die Infrastrukturseite ihre Maximalleistung nicht ausschöpfen und damit anderen Fahrzeugen nicht zur VerfĂŒgung stellen. Dieses Problem ist in ISO 15118-20 gelöst. Die Ladestation kann ein Toleranzband um das vom Fahrzeug gewĂ€hlte Ladeprofil legen (Bild 2). Ăber- oder unterschreitet die Ladeleistung des Fahrzeugs die Toleranzgrenze, ist die LadesĂ€ule in der Lage darauf zu reagieren, beispielsweise durch eine Neuaushandlung, in der sie nur eine geringe Leistung anbietet, oder indem sie das Laden beendet. Insgesamt kann die Infrastruktur so ihre Leistung optimal verteilen. Der neue Standard löst zudem weitere MĂ€ngel der VorgĂ€ngerversion, etwa durch die Multiplexed Communication, die eine parallele Neuverhandlung wĂ€hrend des aktiven Ladevorgangs ermöglicht, oder das Aufrechterhalten der Fahrzeugkommunikation fĂŒr Mehrwertdienste (Value-Added-Services), wĂ€hrend sich der eigentliche Ladevorgang im Standby-Modus befindet.
E-MobilitÀt und intelligente Energieverteilung
Ein weiterer Schwerpunkt des Vector-E-Mobility-Symposiums hat sich mit dem intelligenten Verteilen von Energie beschĂ€ftigt â eine unabdingbare Voraussetzung fĂŒr die kĂŒnftige ElektromobilitĂ€t. Die fĂŒr Fahrzeuge zur VerfĂŒgung stehende Energiemenge ist nicht nur begrenzt, sondern auch zeitlichen Schwankungen unterworfen. Je mehr Elektrofahrzeuge auf die StraĂe kommen, umso gröĂere Bedeutung kommt intelligenter Ladekommunikation, leistungsfĂ€higen Charging-Station-Management-Systemen (CSMS) sowie einer Infrastruktur zu, die auf modularer Leistungselektronik basiert.
Beim bisherigen AC-Laden an Wallboxen oder öffentlichen Ladepunkten bezieht das Fahrzeug die Energie in der Regel mit der maximal möglichen Leistung, selbst wenn das gar nicht notwendig wĂ€re. Neuere Systeme und Wallboxen verteilen die Energie intelligenter oder erlauben dem Netzbetreiber auch die Einflussnahme auf die Ladeprozesse. Diese können Leistungen drosseln, eine Zeit lang ganz anhalten oder erlauben sogar das RĂŒckspeisen, wie bereits beschrieben. WĂ€hrend die Ladeleistungen beim Laden mit Wechselstrom klein sind, ist beim Schnell-Laden mit Gleichstrom und hohen Ladeleistungen das Energiemanagement noch viel dringlicher.
Energiemanagement und Administration lassen sich in Verbindung mit der passenden Leistungselektronik und einem geeigneten CSMS-Backend bewĂ€ltigen. FĂŒr Betreiber von Ladeparks, Elektro-Flotten, FirmenparkplĂ€tze und so weiter ist von Vector das CSMS vCharM erhĂ€ltlich, das in Bild 3 zu sehen ist. Das CSMS vCharM bietet die Konfiguration, Wartung und Ăberwachung der Ladepunkte, sowie die Fahrzeug-Vorkonditionierung, Nutzerautorisierung und Abwicklung von Bezahl- und AbrechnungsvorgĂ€ngen. Sicherheitszertifikate können ebenso verwaltet und Berichte zu abgeschlossenen LadevorgĂ€ngen erstellt werden. Es ermöglicht verschiedene Ladestrategien wie Ad-hoc-Planning und Ahead-Planning. Vorhandene Flotten- und Depot-Management-Systeme können problemlos eingebunden werden.
In KĂŒrze: 5 hĂ€ufig gestellte Fragen und Antworten zur ISO 15118-20 und Smart Charging
Frage 1: Was ist ISO 15118-20 und welche Bedeutung hat es fĂŒr Smart Charging?
Antwort 1: ISO 15118-20 ist ein Teildokument der ISO-Norm 15118, das die Grundlagen fĂŒr die Ladekommunikation von Elektrofahrzeugen definiert. Es ermöglicht unter anderem Bidirectional-Power-Transfer (BPT), was bedeutet, dass Elektrofahrzeuge nicht nur Energie aus dem Netz beziehen, sondern sie bei Bedarf auch zurĂŒck ins Netz einspeisen können. Dies ist entscheidend, um das Stromnetz zu stabilisieren und auf den steigenden Anteil erneuerbarer Energiequellen vorbereitet zu sein.
Frage 2: Welche Rolle spielt ISO 15118-20 in Bezug auf Energiemanagement und Smart Grids?
Antwort 2: ISO 15118-20 ermöglicht es Elektrofahrzeugen, in das Energiemanagement des Smart Grids einzugreifen. Dies bedeutet, dass Fahrzeuge den Ladebetrieb stoppen und sogar Energie zurĂŒck ins Netz speisen können, um das Gleichgewicht zwischen erzeugter und verbrauchter Energie aufrechtzuerhalten. Dies ist besonders wichtig angesichts der Schwankungen bei erneuerbaren Energiequellen.
Frage 3: Welche neuen Funktionen bietet ISO 15118-20 im Vergleich zur vorherigen Version ISO 15118-2?
Antwort 3: ISO 15118-20 fĂŒhrt neue Energy-Transfer-Modi wie Bidirectional-Power-Transfer (BPT) und Wireless-Power-Transfer (WPT) ein. Es erweitert auch die Möglichkeiten fĂŒr die Preisgestaltung und Authentifizierung. DarĂŒber hinaus bietet es verbesserte Handhabung von Vertragszertifikaten und ToleranzbĂ€ndern fĂŒr die Ladeleistung.
Frage 4: Wie können Elektrofahrzeuge mit ISO 15118-20 zur Stabilisierung des Stromnetzes beitragen?
Antwort 4: Elektrofahrzeuge, die mit ISO 15118-20 kompatibel sind, können als dezentrale Energiespeicher fungieren. Sie können den Ladebetrieb stoppen und Energie zurĂŒck ins Netz speisen, um das Netz zu stabilisieren. Dies ist besonders nĂŒtzlich, um die Anlaufzeit von Kraftwerken fĂŒr die PrimĂ€rregelung zu ĂŒberbrĂŒcken.
Frage 5: Welche Rolle spielt ISO 15118-20 in der drahtlosen Kommunikation und im Energiemanagement von Elektrofahrzeugen?
Antwort 5: ISO 15118-20 ermöglicht Wireless-Power-Transfer (WPT) und Automatic-Connection-Device-Pantograph (ACD-P), was drahtlose Kommunikation und automatisches Laden unterstĂŒtzt. Dies ist entscheidend fĂŒr die Zukunft der ElektromobilitĂ€t und das intelligente Energiemanagement, insbesondere bei Elektrobussen und schnellem Gleichstromladen.
Jetzt ist die Industrie gefragt
Die Standardisierung im Bereich der ElektromobilitÀt ist weiter auf dem Vormarsch. Mit der Veröffentlichung der ISO-Norm 15118-20 ist ein bedeutender Schritt gelungen. Automobilhersteller, Zulieferer, Infrastruktur- und Stromnetzbetreiber stehen jetzt vor der Herausforderung, sowohl innovative Funktionen wie BPT, WPT und ACD-P als auch zahlreiche Detailverbesserungen umzusetzen und in ihre Produkte zu integrieren.