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Zeit ist im Schaltschrankbau bares Geld. (Bild: Redaktion IEE)

Mit dem VX 25 hat Rittal im Frühjahr den Nachfolger des bisherigen Großschranks TS 8 vorgestellt. Wie viele Schrankmeter haben sie eigentlich von diesem System draußen im Feld?

Michael Schell: Wie viele Schränke heute noch in Gebrauch sind, wissen wir nicht genau, produziert haben wir seit der Markteinführung im Jahr 1999 etwas über 11 Millionen TS 8-Schränke. Offiziell abgekündigt ist dieser zum 15. Februar 2019. Dann endet die Aktivphase, bis zu der wir die Verfügbarkeit des Produkts und der Listenpreise garantieren.

Natürlich wird die Produktion des TS 8 inklusive Komponenten an diesem Tag nicht sofort eingestellt. Da nehmen wir Rücksicht auf unsere Kunden, die ihre laufenden und geplanten Projekte noch abwickeln müssen.

Das heißt, die Schränke werden nach wie vor weiter produziert?

Michael Schell: Ja, aber der Bedarf an VX25-Schränken steigt und der Bedarf an TS 8-Schränken fällt kontinuierlich, so dass wir an einem heute noch nicht festgelegten Termin die Produktion in Europa einstellen werden. Da wir die Markteinführung unseres VX25-Systems für Asien und die USA erst zu einem späteren Zeitpunkt beginnen und wir dort lokal produzieren, wird es den TS8-Schrank dort noch etwas länger geben.

Was waren denn die wesentlichen Impulse, einen neuen Großschrank zu entwickeln? Der TS 8 ist doch im Markt eingeführt?

Michael Schell: Ein wesentlicher Treiber war für uns Industrie 4.0. Wir haben früh festgestellt, dass ein Produkt wie ein Schaltschranksystem, das in Zukunft alle Anforderungen abdecken soll, für Industrie 4.0 ausgelegt, designt und entwickelt sein muss.

Und das ist der TS 8 aufgrund seines Alters sicher nicht.

Michael Schell: Daher haben wir intensiv überlegt, wie wir die künftige Schrankgeneration Industrie 4.0-tauglich machen können. Denn der Markt braucht einen Schaltschrank, der die Durchlaufzeiten in Engineering und Montage verkürzt, die Komplexität reduziert und sich als vollwertiger Baustein in den Megatrend Digitalisierung einfügt.

Nur die Kombination aus realem Schaltschrank und seinem digitalem Zwilling erfüllt in Zukunft alle Digitalisierungsanforderungen – von Online-Konfiguration und Engineering über Montage bis hin zu Automatisierung, Logistik und Wartung.

Und wo haben Sie die Komplexität überall reduziert?

Michael Schell: An sehr vielen Stellen. Basis für eine deutliche Reduzierung der Komplexität ist die neue, volle Symmetrie des Profilrahmens. Das ist der Kern der Innovation. Das Profil entscheidet über den Bauraum, die Effizienz bei Engineering und Montage, die Erweiterungsmöglichkeiten und Flexibilität in der Werkstatt.

Das symmetrisch Profil macht so vieles einfacher, allein weil die bisherigen Konfigurationsregeln deutlich einfacher werden. Diese durchgängige Symmetrie ist einer der großen Unterschiede zum TS 8, der in der Horizontalen ein anderes Profil als in der vertikalen Ebene hat.

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Basis für eine deutliche Reduzierung der Komplexität ist die neue, volle Symmetrie des Profilrahmens. Redaktion IEE

Das hört sich ganz simpel und banal an.

Michael Schell: Aber letztendlich ist das der Schlüssel zu mehr Effizienz. Daraus resultieren weniger Artikel, weniger Artikelvarianten, mehr und einfachere Funktionen. Damit ist sehr viel gewonnen.

Das klingt, als würde Rittal sich zuallererst selbst die Arbeit erleichtern.

Michael Schell: Für den Schaltschrankbauer hat das ebenso Vorteile: Die Konfiguration und Planung des Schranks geht wesentlich schneller und ist weitaus weniger fehleranfällig. Sie finden viel einfacher und schneller das richtige Ausbauzubehör oder können im Rittal Configuration System mit viel weniger Parametern das Produkt bestimmen. Damit sparen sie auch bei der Produktauswahl viel Zeit und vermeiden Fehler, da die Auswahl so einfach ist.

Wenn ich es richtig verstanden habe, definieren Sie Industrie 4.0 für sich und Ihre Anwender als Digitalisierung, Planung, digitaler Zwilling?

Michael Schell: Heute plant der Kunde eine Steuerungs- oder Schaltanlage digital. Er hat die Daten digital vorliegen, konstruiert und macht ein 3D-Modell von dieser Anlage. Dann hat er das Abbild des späteren Produktes.

Der Ansatz von Industrie 4.0 im Steuerungs- und Schaltanlagenbau geht aber noch weiter. Auch in der Produktion soll der Kunde später in der Lage sein, diese digitalen Informationen nutzen zu können. Das können wir heute schon sehr gut im Bereich der mechanischen Bearbeitung von Schränken. Über Rittal Automation Systems können wir Bearbeitungs-Maschinen wie die Perforex steuern, die auf Basis dieser Daten die mechanische Bearbeitung der Schränke erledigen. Das lässt sich weiter ausbauen mit Maschinen für den Zuschnitt von Kabelkanälen und Tragschienen oder die Unterstützung bei der Verdrahtung mit ‚Smart Wiring‘.

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Ohne Digitalisierung geht Wertschöpfung verloren. Redaktion IEE

War die Vereinfachung des Schrankaufbaus eine Forderung der Kunden?

Michael Schell: Befragungen und Trend-Analysen im Vorfeld waren nur ein Aspekt bei der Produkt-Definition. Viele Anforderungen an das neue Schranksystem sind erst durch detaillierte Analysen in den Büros und Werkstätten unserer Kunden ermittelt worden. Wir sind zu Kunden in verschiedenen Ländern gefahren und haben uns angeschaut, wie sie einen Schaltschrank verarbeiten, angefangen beim Bestellprozess über das Auspacken, Zerlegen, der mechanischen Bearbeitung, der Verdrahtung bis hin zur Abnahme und dem Weitertransport. Daraus sind dann in Summe 150 Anforderungen entstanden, die wir alle umgesetzt haben.

Welche denn konkret?

Michael Schell: Beispielsweise bei der Montage eines Komfort-Türgriffs. Was früher eine halbe Stunde brauchte, geht heute in Minuten: Einen Pin zur Seite schieben, den Standardgriff rausnehmen, den Komfortgriff einrasten, Sicherungsschraube anziehen, fertig! Kunden waren die aufwendigere Montage beim TS 8 gewohnt, hatten dies so akzeptiert. Ohne die Monteure bei der Arbeit zu beobachten und dies festzustellen, hätte das kaum jemand als Anforderung für das Lastenheft eines neuen Schranks spezifiziert. Diese Argumente helfen uns jetzt natürlich, bei der Markteinführung Kunden zu begeistern. Und damit Kunden von sich aus auf den VX25 umstellen, wird der VX25 preisneutral zum TS 8 Schrank angeboten.

Wie unterstützen Sie Ihre Kunden beim Wechsel zum VX25?

Michael Schell: Die Umstellung ist mit etwas Aufwand verbunden. Der Anwender muss seine Dokumentation anpacken und die TS 8-Produkte auf die Nachfolgeprodukte des VX25 umstellen. Aber dafür gibt es von Rittal und Eplan Umstellungshilfen. In dem Engineering Tool Eplan P8 kann der Bearbeiter mit wenigen Klicks die TS 8-Produkte durch VX25-Produkte ersetzen. Und dort, wo es alternative Lösungen gibt, wird der Nutzer darauf hingewiesen.

Eplan ist in Deutschland Marktführer. Muss es nicht Ihr Interesse sein, die Hürden für Kunden in allen Märkten möglichst niedrig zu halten?

Michael Schell: Für die, die kein Eplan Engineering-Tool nutzen, bietet Rittal ein webbasiertes Umstell-Tool an, welches ähnlich funktioniert. Der Bediener fügt aus seiner Stückliste die TS 8-Produkte ein und bekommt ebenso die Nachfolgeprodukte oder Hinweise auf die Alternativen angezeigt. Möchte jemand den VX25 aufgrund der Anforderungen selbst konfigurieren, so kann der dafür das Rittal Configuration System nutzen. Mit dem Tool lässt sich der Schaltschrank digital aufbauen, über einfache Konfigurationsregeln mit dem richtigen Zubehör bestücken, bei Bedarf gleich Ausschnitte vorsehen, sozusagen mechanisch vorverarbeiten. Als Ergebnis liefert die Software eine Stückliste und ein 3D-Modell.

Gibt es Erfahrungswerte, wie lange so eine Konfiguration dauert?

Michael Schell: Wenn jemand das Rittal Configuration System verwendet, braucht er etwa 30 Minuten, um einen Schaltschrank mit Zubehör und Ausbrüchen zu konfigurieren. Macht er dies mit einem CAD Engineringtool benötigt er etwa zwei Stunden.

Hat der Konstrukteur weitere Aufwände, um sein Projekt umzustellen?

Michael Schell: Damit am Automatisierungsprojekt selbst nichts anzupassen ist, haben wir die Abmessungen der Montageplatte bewusst gleich gehalten. Somit kann auch das Layout einer TS 8-Montageplatte auf eine VX25-Montageplatte transferiert werden, ohne den kompletten Aufbau neu generieren zu müssen.

Hat der VX25 auch Auswirkungen auf Produkte ihrer anderen Geschäftsbereiche?

Michael Schell: Generell erfüllt der VX25 alle Anforderungen, die auch der TS 8 erfüllt hat. So können zum Beispiel RiLine Sammelschienensysteme weiterhin verwendet werden. Die Umstellung des Schaltschranks für die geprüften Ri4Power Niederspannungsanlagen mit Bauartnachweis nach IEC 61439 nutzen wir zusätzlich, um dieses System bis auf 6 300 A zu ertüchtigen und reduzieren hierbei den Einsatz von Kupferschienen, was die Kosten deutlich drückt.

Die Nutzung unserer Produkte für die Schaltschrank-Klimatisierung ist ebenso problemlos. Eine Neuheit im Bereich der Schaltschrank-Klimatisierung in Verbindung mit dem VX25 ist die integrierte Kühllösung, bei der das Kühlgerät erstmalig ein fester Bestandteil des kompletten Schaltschranks ist. Die Plug&Play-Lösung kann unter einer Bestellnummer ab Werk geordert werden. Das spart dem Monteur den Aufbau von Kühlgerät, dessen Einbau und die interne Verdrahtung mit den Türschaltern. Praktisch bekommt der Schaltschrankbauer von uns einen Schaltschrank geliefert, in den er nur noch die Montageplatte einsetzen muss.

Gibt es weitere Vorteile, die die Arbeit des Anlagenbauers erleichtern?

Michael Schell: Manche Kunden bauen Schaltschränke mit sehr großen und schweren Komponenten auf der Montageplatte. Das Einsetzen der Platte von vorne ist dann sehr kraftaufwendig. Beim VX25 können Montageplatten nun auch von hinten eingesetzt werden. Die Nutzung eines Krans ist somit wesentlich einfacher und der Kraftaufwand der Monteure wird deutlich reduziert. Zudem konnten wir die Befestigung der Montageplatte nochmals 20 mm weiter nach hinten setzen. Das klingt nach nicht viel, bringt bei großen Geräten wie einem Umrichter aber mitunter die entscheidenden Millimeter, um einen Wechsel auf einen tieferen Schaltschrank zu vermeiden.

Gehen Großkunden wie ein Daimler oder Volkswagen schon konform mit dem System und haben den VX25-Schrank in ihren Ausschreibungen gelistet?

Michael Schell: Schon bevor wir den VX25 dem Markt vorgestellt haben, haben wir großen Kunden den Nachfolger des TS 8 mit seinen Eigenschaften vorgestellt, so dass die Kunden den VX25 schon frühzeitig in ihren neuen Projekten oder Produkt-Listings aufnehmen konnten. Da der VX25 eine Menge Vorteile bietet, haben viele Kunden den neuen Schrank in ihre Spezifikationen aufgenommen. Teilweise sind beide Schränke gelistet, weil langfristige Projekte natürlich im laufenden Prozess nicht einfach umgestellt werden. Praktisch ist das aber auch kein Problem, weil der VX25 und TS 8 bei Bedarf aneinandergereiht werden können, etwa wenn eine Bestandsanlage um weitere Schränke erweitert werden muss.

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20 mm – das klingt nach nicht viel, bringt bei großen Geräten wie einem Umrichter aber mitunter die entscheidenden Millimeter, um einen Wechsel auf einen tieferen Schaltschrank zu vermeiden. Redaktion IEE

Was sind denn Ihre Top-Innovationen, abgesehen vom symmetrischen Profil und dem Komfort-Griff?

Michael Schell: Das 180°-Scharnier gehört auch in die Kategorie Highlight. Waren beim TS 8 für dessen Einbau acht Bohrungen nötig, damit man das Scharnier überhaupt befestigen kann, funktioniert das heute ohne eine einzige Bohrung. Auch das spart eine Menge Zeit.

Dann die Schrankanreihung: Wir hatten früher 14 unterschiedliche Anreihverbinder. Der Kunde musste überlegen, welcher der richtige ist. Wir konnten das auf vier Verbinder reduzieren.

Die Überarbeitung des Bodenblechs ist ein weiteres Detail, das in der Praxis für Erleichterung sorgt. Bis dato hatte das Blech einen scharfkantigen Falz – ein potenzielles Verletzungsrisiko für Mensch und Material. Oft wurde es durchgetreten, da sich Monteure immer wieder gerne mal draufstellen. Beim VX25 ist dieses Blech nun gefalzt. Die scharfe Kante ist weg und das Blech wesentlich stabiler.

Eine wenig beachtete Komponente bei einem Schrank ist der Sockel. Beim TS 8 gab es den stabilen Stahlblechsockel und den sogenannten Flex-Block, bei dem man auch den Sockelbereich mit weiterem Zubehör funktional nutzen konnte. Für den VX25 haben wir die Vorteile beider Varianten kombiniert, das heißt die Stabilität des Stahlblechsockels mit der Funktionalität des Flex-Blocks. Und der Sockel passt sowohl unter den TS 8, wie auch unter den VX25.

Zeitersparnis bei der Montage ist ein wichtiger USP. In Hochlohnländern kann Rittal damit sicher punkten. Aber was ist mit Osteuropa, wo viele Schränke für Serienmaschinen montiert und verdrahtet werden.

Michael Schell: Wir stellen mittlerweile einen sehr hohen Facharbeitermangel gerade in der Elektroindustrie fest. Schaltanlagenbauer haben massive Probleme, Fachkräfte zu bekommen. Und das ist kein typisch deutsches Problem, sondern trifft auf ganz Europa zu. Daher nutzen auch Kunden in Osteuropa jede Chance, Zeit zu gewinnen.

Wir haben auch viele Key Accounts und international agierende Kunden, die weltweit die gleichen Produkte in ihren Produktionsstätten verwenden wollen. Sie schreiben den Schaltschrankbauern vor, welche Komponenten einzusetzen sind. Auch wenn wir den VX25 noch nicht in China produzieren, wir ermöglichen es, dass ein Kunde auch dort das Schranksystem einsetzen kann.

Für welche Schrankgrößen ist das symmetrische Profil verfügbar?

Michael Schell: Mit der Markteinführung des VX25 sind alle Standardgrößen verfügbar, seit Oktober auch die Varianten in Edelstahl. Das Niederspannungsschaltanlagensystem VX 25 Ri4Power folgt nächstes Jahr im April 2019 zur Hannover Messe.

Ich kann mir das schlecht vorstellen, wie viel Aufwand hinter einer solchen Entwicklung steht?

Michael Schell: Es ist ein enorm großer Aufwand. Die Entwicklung des VX25 haben wir 2012 angestoßen, Markteinführung war 2018. Das waren also fast sechs Jahre, von denen viel Zeit auf Marktanalyse, Entwicklung und Prüfungen verwendet wurde. Es sind schon eine Vielzahl von aufwendigen Prüfungen, die ein Schaltschrank inklusive Zubehör bestehen muss, bevor er die Produktzulassung erhält.

Wenn ich heute keinen Rittal Schrank verwende, wie finde ich den richtigen VX 25 Schaltschrank?

Michael Schell: Im Rittal Configuration System wird auf Basis der Produkteigenschaften der Schaltschrank ausgewählt. Somit kann immer der am besten passende Schrank konfiguriert werden. Aber auch unsere Fachberater stehen bei der Umstellung gerne zur Seite.

Das Interview führte Chefredakteur Stefan Kuppinger

SPS IPC Drives: Halle 10, Stand 424

(sk)

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