Die aktuelle Situation stellt KMU vor erhebliche Herausforderungen: Makroökonomische Unsicherheiten, wachsende regulatorische Anforderungen, Fachkräftemangel, Probleme bei der Nachfolgeregelung oder rasante technologische Entwicklungen wie KI und Cybersicherheit – um nur ein paar zu nennen. Das Unternehmensnetzwerk beziehungsweise Ecosystem Sym und sein Cluster für Elektronik "Symtronics", propagiert als Lösung eine Abkehr vom Einzelkämpfertum hin zu kooperativen Modellen. So sollen KMUs durch Zusammenarbeit in sogenannten Symworking Ecosystem, die gemeinsame Nutzung von Plattformen, Zugang zu digitalen Technologien und die Förderung nachhaltiger Ansätze wettbewerbsfähig bleiben. Auf der electronica 2024 sprachen wir mit Merlin Reingruber, Geschäftsführer Mayerhofer Elektronik sowie Co-Founder von Symtronics, und Michael Schwienbacher, Ecosystem Architect bei Sym, über das Konzept hinter Symtronics, konkrete Projekte im Netzwerk und ihre Zukunftsvision.
Es ist jetzt knapp 18 Monate her, dass wir uns über Symtronics ausgetauscht haben. Könnten Sie zunächst noch einmal erklären, was Symtronics ist und wie es funktioniert?
Merlin Reingruber: Symtronics ist das erste Ökosystem der Elektronikbranche weltweit. Wir vernetzen Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette – von Rohstofflieferanten über Hersteller bis hin zu Recyclingbetrieben – um gemeinsam nachhaltige Lösungen zu entwickeln und umzusetzen.
Michael Schwienbacher: Symtronics ist dabei ein Cluster innerhalb von Sym, der sich speziell mit Elektronik beschäftigt. Stellen Sie sich das vor wie einen Konzern, nur nicht top-down organisiert, sondern resilient und eigenverantwortlich. Wir haben gemeinsame Daten, Prozesse und Strukturen, sowie einen zentralen Einkauf und Verkauf. So können wir Kosten reduzieren, die Rohstoffversorgung sichern und innovative Technologien schneller entwickeln.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit innerhalb von Sym konkret? Können Sie uns mehr über die Struktur und die Entscheidungsfindung erzählen?
Michael Schwienbacher: Sym besteht aus etwa 300 Mitgliedsunternehmen und 30 Gesellschaftern. Die Mitglieder zahlen eine Lizenzgebühr und profitieren von den Vorteilen des Ökosystems, während die Gesellschafter die strategischen Entscheidungen treffen. Die Zusammenarbeit ist geprägt von unseren Werten: Augenhöhe, Offenheit und Verlässlichkeit. Wir wirtschaften fremdenvergleichsüblich und legen großen Wert auf Transparenz. Neue Mitglieder werden sorgfältig geprüft, um sicherzustellen, dass sie zu unseren Werten passen.
Es ist wirklich interessant zu beobachten, wie plötzlich alle von Netzwerken und Ökosystemen sprechen.
Es gibt Vorwürfe der Klüngelei gegen Symtronics beziehungsweise Vetternwirtschaft. Wie reagieren Sie auf diese Kritik?
Merlin Reingruber: Wir nehmen solche Vorwürfe sehr ernst und möchten betonen, dass die Zusammenarbeit innerhalb unseres Ökosystems strikt "fremdvergleichsüblich" erfolgt. Das bedeutet, dass unsere Preise für Dienstleistungen und Produkte den marktüblichen Konditionen entsprechen.
Michael Schwienbacher: Darüber hinaus möchte ich betonen, dass Symtronics offen für neue Mitglieder und Partner ist. Wir sind nicht auf unser bestehendes Netzwerk beschränkt, sondern suchen stets nach den besten Lösungen – auch außerhalb unseres Ökosystems.
Das heißt, Sie würden für Projekte auch externe Partner einbeziehen, wenn es innerhalb des Netzwerks eine geeigneten Unternehmen gibt?
Michael Schwienbacher: Natürlich, das ist für uns selbstverständlich.
Symtronics auf der Electronica 2024
Wie läuft der Prozess für neue Mitglieder bei Sym?
Michael Schwienbacher: Wenn ein Unternehmen Teil des Ökosystems werden möchte, muss es einen Antrag stellen und angeben, von wem es empfohlen wurde. Dann führen wir eine Internetrecherche und eine Bonitätsprüfung durch. Schließlich schauen sich drei erfahrene Mitglieder das Unternehmen genauer an und entscheiden, ob es zu Sym beziehungsweise Symtronics passt. Dieser Prozess ist sehr wichtig, um die Integrität und den Erfolg des Ökosystems zu gewährleisten.
In Ihrem Rahmen ist immer die Rede von regenerativer Wirtschaft? Inwiefern geht das über die Kreislaufwirtschaft hinaus?
Michael Schwienbacher: Die regenerative Wirtschaft geht einen Schritt weiter als die Kreislaufwirtschaft, indem sie Ressourcen nicht nur wiederverwendet, sondern auch wiederherstellt, um die Natur nachhaltig zu stärken und zu regenerieren.
Merlin Reingruber: Ein Beispiel dafür ist unser Projekt mit zirkulärem Zinn. Anstatt neues Zinn aus Minen zu beziehen, die oft unter problematischen Bedingungen betrieben werden, nutzen wir bei Mayerhofer Elektronik recyceltes Zinn aus alten Elektronikgeräten. So reduzieren wir die Abhängigkeit von Zinnförderländern wie China, Myanmar und Indonesien und leisten gleichzeitig einen Beitrag zum Schutz der Natur in diesen Ländern. Konkret arbeiten wir hier mit der Feinhütte Halsbrücke zusammen, ebenfalls Mitglieder von Symtronics. Sie haben einen speziellen Prozess entwickelt, um Sekundärzinn in einer Reinheit von 99,99% herzustellen.
Der Markt zeigt zunehmendes Interesse an nachhaltigen Materialien. Große Unternehmen, darunter auch Chiphersteller, haben Interesse an 100 % zirkulärem Zinn signalisiert.
"Effizienteste und nachhaltigste" LED-Lampe der Welt
Am Sym-Stand auf der electronica 2024 stellte der Entwickler und Symtronics-Mitglied Rainer Veit, von "Das Optimum", eine innovative LED-Lampe vor. Laut Veit handelt es sich um die „nachhaltigste und effizienteste LED-Lampe der Welt“, die 0,55 W verbraucht und eine Effizienz von 216 Lumen pro Watt erreicht. Da sie ohne zusätzliche Kühlung auskommt, benötigt sie zudem 90 % weniger Material als vergleichbare Lösungen. Die Leiterplatte besteht aus einem Hanf-Verbundstoff von Jiva Materials, der biologisch abbaubar ist und sich bei Temperaturen ab 90 °C in Wasser auflöst, was das Recycling erheblich vereinfacht. Meyerhofer Elektronik übernimmt die Produktion der LED und verwendet eine spezielle Lötpaste aus recyceltem Zinn, die bei nur 130 °C verarbeitet werden kann. Dadurch kann der Energieaufwand in der Produktion um bis zu einem Drittel reduziert werden.
Die einfache und kostengünstige Herstellung soll eine weite Verbreitung des Produkts in Regionen mit eingeschränktem Zugang zu Energie, wie z.B. in Afrika, ermöglichen. Ziel ist es, erschwingliche Beleuchtungslösungen für Millionen von Haushalten bereitzustellen, da sich das Produkt in Kombination mit Photovoltaik und Energiespeichern – etwa aus Akkupacks aus E-Bikes oder Laptops – unabhängig von fossilen Brennstoffen betreiben lässt. Zusätzlich gibt die Idee leeren Plastikflaschen wieder ein Wert. Das Konzept greift Ansätze der Kreislaufwirtschaft auf, indem es ressourcenschonende Materialien verwendet und ein einfaches Recycling ermöglicht. So können Komponenten wie Kupfer und Zinn nahezu vollständig (95-100%) wiederverwertet werden. Mit einer geplanten Feldserie von 2.000 Stück soll die Zuverlässigkeit und Serientauglichkeit des Produktes weiter überprüft werden. Geplant ist, die LED-Lampe vor Ort in Afrika nicht zu verkaufen, sondern gegen z.B. zehn leere PET-Flaschen zu tauschen und hierdurch Plastikmüll gezielt zu sammeln und wiederverwerten zu können.
Stichwort Qualität bei sekundärem Zinn – da gibt es doch sicher Vorbehalte, bedenkt man die Diskussion bei der Umstellung auf bleifreies Lot.
Merlin Reingruber: Die Qualität des sekundären Zinns der Feinhütte Halsbrücke ist sehr hoch. Zwar gibt es bei einigen Anwendern anfänglich Vorbehalte gegenüber recyceltem Material, da sie mögliche Verunreinigungen oder eine geringere Leistung befürchten. Röntgenanalysen und hochauflösende mikroskopische Untersuchungen aus unserer Produktion zeigen jedoch, dass Sekundärzinn sogar weniger Lunker und eine bessere Oberflächenstruktur aufweist, was die Zuverlässigkeit der Lötverbindungen erhöht. Diese Ergebnisse tragen maßgeblich dazu bei, Vertrauen in die Qualität des recycelten Zinns aufzubauen.
Reden wir über Geld: Ist es denn teuer als herkömmliches Zinn?
Merlin Reingruber: Interessanterweise liegt der Preis für das Sekundärzinn im mittleren Bereich im Vergleich zu herkömmlichem Primärzinn. Das bedeutet, dass es weder teurer noch signifikant günstiger ist, aber durch die bessere Qualität und die Nachhaltigkeitsvorteile dennoch eine attraktive Alternative darstellt.
Wie reagiert der Markt auf den Einsatz von Sekundärzinn?
Merlin Reingruber: Der Markt zeigt zunehmendes Interesse an nachhaltigen Materialien. Große Unternehmen, darunter auch Chiphersteller, haben Interesse an 100 % zirkulärem Zinn signalisiert. Tatsächlich kam nach einem meiner Vorträge der Vice President Automotive von Infineon auf mich zu und bekundete großes Interesse an unserem Sekundärzinn. Generell steigt die Nachfrage nach nachhaltigen Materialien, insbesondere da viele Unternehmen versuchen, ihre CO2-Bilanz zu verbessern und unabhängiger von Primärrohstoffen zu werden.
Wie können Unternehmen Sekundärzinn in ihre Produktionsprozesse integrieren?
Merlin Reingruber: Unternehmen können den Zinn ohne größere Umstellungen in ihren bestehenden Produktionsprozesse verwenden. Das Zinn kann einfach in die Lötwellenanlagen gegeben werden, und es ist sogar möglich, es mit bestehendem Primärzinn zu mischen. Dies macht den Übergang zu nachhaltigen Materialien besonders einfach und effizient.
Wir verbinden Rohstoffbeschaffung, Entwicklung und Recycling und können somit den ganzen Wertschaffungsprozess entsprechend verändern, weil wir sie in einem Ökosystem haben.
Welche weiteren Projekte gibt es noch innerhalb von Symtronics?
Merlin Reingruber: Etwa das Projekt "Vibro Detach", ein gefördertes Forschungsprojekt zusammen mit der Uni Stuttgart, bei dem wir versuchen, Bauteile von Leiterplatten mithilfe von Vibrationen zu lösen. Der Name "Vibro Detach" deutet es schon an: Wir nutzen Schwingungen, um die Eigenfrequenz des Weichlotes – in diesem Fall Zinn – zu treffen, um so die Bauteile ohne großen Energieeintrag zu entfernen. Dies könnte eine revolutionäre Methode für das Elektronik-Recycling werden, da es energiesparender und nachhaltiger ist als herkömmliche Methoden. Im Idealfall können wir die Bauteile sogar wiederverwenden.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Bauteile durch Vibrationen zu lösen?
Merlin Reingruber: Die Idee stammt aus einer früheren Forschung der Universität. Sie haben herausgefunden, dass sie Hartlötverbindungen durch Vibrationen lösen können. Die Universität hat diesen Effekt an einem Sägeblatt demonstriert, bei dem die Schneiden aufgelötet waren. Mithilfe einer Sonotrode konnten sie die Verbindung so weit lockern, dass sie die Schneiden mit dem Finger lösen konnten. Das war für uns wie Science Fiction, aber es hat funktioniert. Daraufhin kam die Idee, diesen Ansatz auch für Weichlot in der Elektronik zu untersuchen.
Wie weit sind Sie mit dem Projekt?
Merlin Reingruber: Das Projekt wurde gerade erst bewilligt, und wir sind jetzt in der Startphase. Wir arbeiten gemeinsam mit der Universität Stuttgart und anderen Sym-Partnern daran, die Grundlagenforschung durchzuführen. Es gibt viele offene Fragen, zum Beispiel die optimale Gestaltung der Sonotrode, um die Schwingungen effizient auf die Leiterplatte zu übertragen. Auch die Dämpfungseffekte in den Leiterplatten sind eine Herausforderung, die wir erforschen müssen.
Können Sie uns etwas über die Zukunft von Sym beziehungsweise Symtronics sagen?
Michael Schwienbacher: Die Zukunft von Sym und insbesondere von Symtronics sieht sehr spannend aus. Wir planen, das Ecosystem auf 50 Unternehmen im Bereich Elektronik auszubauen und weitere Cluster zu initiieren, zum Beispiel im Bereich Unternehmensnachfolge. Unser Ziel ist es, das Symworking Ecosystem weiter zu stärken und damit die nachhaltige und resiliente Elektronikproduktion zu fördern. Wir möchten außerdem den Marktplatz weiter ausbauen, um Unternehmen einen einfachen Zugang zu nachhaltigen Materialien und Dienstleistungen zu bieten. Gleichzeitig arbeiten wir daran, unsere digitale Plattform mit KI-Unterstützung weiterzuentwickeln, um das gesamte Ökosystem effizienter und nutzerfreundlicher zu gestalten.
Durch das weitere Wachstum können wir auch größere Projekte realisieren und mehr Einfluss auf die Branche ausüben.
Was hat es mit dem Marktplatz von Symtronics auf sich?
Michael Schwienbacher: Der Marktplatz von Symtronics spielt eine zentrale Rolle in unserem Ecosystem. Er dient dazu, Unternehmen innerhalb und außerhalb des Netzwerks einen einfachen Zugang zu nachhaltigen Materialien und Dienstleistungen zu ermöglichen. Aktuell haben wir etwa 60 Angebote auf dem Marktplatz, und unser Ziel ist es, diesen weiter auszubauen und auf 300 Angebote zu erweitern. Der Marktplatz erleichtert die Zusammenarbeit der Mitglieder und sorgt für Kostenvorteile durch gebündelte Einkaufsvolumen. Es ist ein wichtiger Baustein, um die Vision einer zirkulären und nachhaltigen Elektronikproduktion voranzutreiben.
Wie wichtig ist das Wachstum des Netzwerks für die Zukunft von Symtronics?
Michael Schwienbacher: Das Wachstum des Netzwerks ist entscheidend für die Zukunft von Symtronics. Je mehr Unternehmen Teil des Netzwerks sind, desto stärker wird das gesamte Ecosystem. Wir haben gesehen, dass das Konzept funktioniert und dass die Zusammenarbeit innerhalb des Netzwerks enorme Vorteile bringt. Unser Ziel ist es, eine starke Gemeinschaft zu schaffen, in der Wissen geteilt wird und Unternehmen gemeinsam nachhaltige Lösungen entwickeln können. Durch das weitere Wachstum können wir auch größere Projekte realisieren und mehr Einfluss auf die Branche ausüben.
Circular Valley Convention: Die Plattform für industrielle Kreislaufwirtschaft
Die Circular Valley Convention, organisiert von der Messe Düsseldorf in Zusammenarbeit mit der Circular Valley Stiftung und dem Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik Umsicht, findet vom 12. bis 13. März 2025 im Areal Böhler in Düsseldorf statt.
Die internationale Veranstaltung vereint Entscheidungsträger aus Industrie, Start-ups, Forschung, Politik und Gesellschaft, um innovative Lösungen und Geschäftsmodelle für eine nachhaltige Zukunft zu präsentieren. Die Convention umfasst hochkarätige Konferenzen, eine Expo und exklusive Events und bietet Raum für Wissensaustausch und Networking.
Als offizieller Medienpartner ist neue verpackung natürlich auch vor Ort präsent: Neben einem Stand im Ausstellungsbereich moderiert Chefredakteur Philip Bittermann am 12. März ein Panel zum Thema „How digitalization makes the cycle possible“.
Seien Sie dabei und gestalten Sie die Kreislaufwirtschaft von morgen mit!
Mit dem Code "HUETHIGCVC" erhalten Sie 100 Euro Rabatt auf Ihr Ticket zur Circular Valley Convention.
Der Autor: Dr. Martin Large
Aus dem Schoß einer Lehrerfamilie entsprungen (Vater, Großvater, Bruder und Onkel), war es Martin Large schon immer ein Anliegen, Wissen an andere aufzubereiten und zu vermitteln. Ob in der Schule oder im (Biologie)-Studium, er versuchte immer, seine Mitmenschen mitzunehmen und ihr Leben angenehmer zu gestalten. Diese Leidenschaft kann er nun als Redakteur ausleben. Zudem kümmert er sich um die Themen SEO und alles was dazu gehört bei all-electronics.de.