Michael Schwienbacher, Ecosystem Architect, und Merlin Reingruber, Geschäftsführer Mayerhofer Elektronik und Vorsitzender des Cluster Symtronics

Michael Schwienbacher, Ecosystem Architect, und Merlin Reingruber, Geschäftsführer Mayerhofer Elektronik und Vorsitzender des Cluster Symtronics beschäftigen sich mit allen Aspekten nachhaltiger Elektronik, denn das Thema hört nicht bei der Leiterplatte auf. (Bild: Sym)

Michael Schwienbacher, Ecosystem Architect, und Merlin Reingruber, Geschäftsführer Mayerhofer Elektronik und Vorsitzender des Clusters Symtronics, haben zwar unterschiedliche Hintergründe, aber ein gemeinsames Ziel. Reingruber beschäftigt sich mit Elektronik seit er 14 ist, hat früher mit Blei und ohne Absaugung gelötet und seine Leidenschaft für einen Meister der Elektrotechnik/Elektronik genutzt. Schwienbacher hingegen war früher Teil des „Turbokapitalismus“, wie er selbst sagt. Beeindruckt von den schonungslosen Mechanismen des kapitalgetriebenen Wirtschafts- und Rechtssystems, vollzog er jedoch einen persönlichen Kurswechsel. Deshalb gründeten sie im Symworking Ecosystem das Cluster Symtronics, das Institut für nachhaltige Elektronik. Hier gestalten sie gemeinsam mit vielen anderen Unternehmen des Ecosystems Elektronik nachhaltiger – sowohl auf Seite der Hardware als auch in den produzierenden Unternehmen selbst sowie in den Lieferketten. Ihr Motto ist dabei: Ökologisch, Regional, Sozial (ÖRS). Auf diesem Weg wurden sie bis vor einigen Jahren oft als „Geisterfahrer“ bezeichnet, die in die falsche Richtung unterwegs sind.

Was für sie Nachhaltigkeit bedeutet, warum sie das Gefühl haben, dass sich immer mehr Menschen ihrem Weg anschließen und ob sie noch Hoffnung für die Zukunft haben, erzählen sie im Interview.

Zitat

Ich habe sehr große Hoffnung, dass wir Elektronik nicht mehr nur als Wegwerfprodukt behandeln, sondern eine gewisse Wertschätzung entwickeln.

Merlin Reingruber

Was bedeutet für Sie Nachhaltigkeit allgemein?

Merlin Reingruber: Nachhaltigkeit ist für mich ein Wirtschaftsfaktor der Zukunft – wenn nicht DER Wirtschaftsfaktor der Zukunft und das auch weltweit. Mir ist klar, dass es an manchen Stellen ein Buzzword ist, das im Frontend schön verwendet wird. Da sind wir jedoch schnell beim Greenwashing-Thema, also dass sich Unternehmen besonders umweltbewusst und umweltfreundlich darstellen, ohne es wirklich zu sein.

Daher bin ich überzeugt, dass Nachhaltigkeit im Backend gestaltet werden muss. Dabei müssen wir Nachhaltigkeit im 360°-Blick betrachten. Dazu zählt, dass ich jeden Unternehmensbereich durchleuchten muss. Flappsig gesagt beginnt das beim nachhaltigen Toilettenpapier. Aber das geht bis hin zur vollständigen Transparenz der Wertschöpfungs- und Lieferketten. Wir müssen beispielsweise in der Lage sein zu wissen, ob ein Rohstoff ein Primär- oder ein Sekundärrohstoff ist.

Michael Schwienbacher: Ich definiere Nachhaltigkeit in einer ökologischen, sozialen und finanziell-wirtschaftlichen Wirkung. Diese runterzubrechen und auch messbar zu machen, ist eine riesige Herausforderung. Denn: wie messe ich diese Aspekte? Für die ökologische Rendite gibt es beispielsweise den CO2-Abdruck, der aber meiner Meinung nach zu kurz greift. Es gibt zum Beispiel ökologisch sinnvolle Unternehmen mit einer Wirkung, die gut für die Umwelt ist. Ein Beispiel: Wir arbeiten mit Fold.ai, die Wälder mit Sensorik überwachen. Dieser positive Aspekt für die Natur findet sich aber in der CO2-Bilanz nicht wieder. Die Handlung an sich ist aber für mich der echte ökologische Impact!

Zu den Personen

Michael Schwienbacher gründete 2001 sein erstes Unternehmen. Er folgte in seiner ersten unternehmerischen Ausrichtung dem Turbokapitalismus. Im Zuge einer wirtschaftlichen Krise 2013 änderte er seine Maximen des Wirtschaftens: Ethik statt Profitgier, Steigerung von Qualität statt Quantität sowie Symbiose statt Wettbewerb. Heute ist er als Ecosystem Architect mitverantwortlich für die Gestaltung des Symworking Ecosystems u.a. auch von Symtronics, dem Institut für nachhaltige Elektronik. Zudem etabliert er mit Sym und allen Mitgliedern des Ecosystem Verantwortungskapitalismus. Einem Kapitalismus, der in drei Dimensionen wirkt: finanziell, ökologisch und sozial.

Merlin Reingruber ist bayerischer Familienunternehmer, Meister der Elektrotechnik/Elektronik und seit 2016 Geschäftsführer vom EMS-Unternehmen Mayerhofer Elektronik. Unter seiner Leitung und mit Unterstützung von Sym transformiert er das Unternehmen in Richtung einer ökologisch, regional und sozial nachhaltigen Wirtschaftsweise. Eines seiner Mottos lautet: „Die Revolution der Elektronik wird geprägt durch das Etablieren von Kreislaufwirtschaft.“

Dazu passt das ÖRS-Audit. Können Sie das bitte erläutern und erklären, welche Rolle es bei der Nachhaltigkeit spielt?

Michael Schwienbacher: Mit dem ÖRS-Audit – das steht für ökologisch, regional, sozial – bekommen wir diese gewisse Messbarkeit mit rein. Damit sensibilisieren wir Unternehmen für eine neue, nachhaltige und faire Form des Wirtschaftens und begleiten sie auf ihrem Kurs in neue Gewässer. Aber aktuell sind wir dabei noch mit dem Kompass unterwegs und nicht mit Google Maps. Wir steuern also bei der Richtung noch viel manuell nach. In zehn Jahren werden wir aber Unternehmen deutlich besser messen können, um auch für Außenstehende Nachhaltigkeit nachvollziehbar machen zu können.

Merlin Reingruber: Ich kann den Effekt des ÖRS-Audits anhand einer Geschichte darlegen: Im Rahmen des Audits haben wir unsere Lieferanten analysiert. Wie in der Elektronikwelt zu erwarten war, stammten 80 % aus Asien, zum Beispiel Chip- oder Leiterplattenhersteller. Einer unsere Widerstände kam dagegen aus Mexico, den wir aber wieder über die asiatischen Distributionswege bezogen haben. Die Widerstände hatten also eine Reise von Mexico nach Shenzen bis zu uns nach Sauerlach hinter sich. Dann habe ich angefangen, in Deutschland nach Widerstandsherstellern zu suchen, auch wenn ich mir sicher war, dass sie mittlerweile alle in anderen Billiglohnländern sitzen würden. Zu meiner Überraschung bin ich auf kleines Unternehmen gestoßen – hier in Ottobrunn! Das liegt Luftlinie fünf Kilometer von uns entfernt und stellt Spezialwiderstände her. Wir haben dann einen zehn MOhm Widerstand angefragt und er war sogar günstiger, bei gleicher Qualität und lokal gefertigt. Das war für mich ein Augenöffner und der Ansporn, dass ich in diese Richtung weiter machen muss. Es gibt Alternativen, es gibt Lösungsansätze, wir müssen nur aus den alten Mustern dieser Branche ausbrechen.

Gehen wir etwas auf die Technik ein. Was macht nachhaltige Elektronik auf Seite der Hardware aus?

Merlin Reingruber: Ein großes Thema ist hier die Leiterplatte, die in jeder Elektronik steckt. Hier gibt es bereits in der Herstellung einen Ansatzpunkt, wenn das Kupfer im Verbundstoff aus sekundären Quellen stammt. Einen ganz anderen Weg geht Jiva Materials, die wasserlösliche Leiterplatten produzieren, nicht aus FR4, sondern aus einem Naturfaserverbundstoff. Das ist eine spannende Entwicklung.

Schwieriger ist es bei den Halbleitern und passiven Komponenten. Da sind so viele Kleinstmengen an seltenen Erden und Metallen drin, dass das Recycling nur schwer machbar ist. Ich vergleiche das gerne mit dem Recycling einer Plastiktüte, die nur aus einem Material besteht. In einer Elektronik ist gefühlt das ganze Periodensystem der Elemente enthalten! Aber auch hier wird sich die Technologie weiterentwickeln, damit wir besser an diese Stoffe drankommen. Beispielsweise forscht das Fraunhofer in München an Recyclingreaktoren, damit am Ende nicht nur Gold, Platin und Kupfer zurückgewonnen werden.

Herr Reingruber, von Ihnen gibt es das Zitat „Nur eine langlebige Elektronik ist eine gute Elektronik.“ Können Sie „Design for Sustainability“ näher erklären?

Merlin Reingruber: Design-for-Sustainability bedeutet für mich, dass ich die Elektronik reparierbarer mache, sie modularer entwickle, damit ich Teile besser austauschen kann und dass ich sie langlebig auslege, ohne geplante Obsoleszenzen. Eine ordentlich gefertigte Hardware kann ohne Probleme 20 Jahre funktionieren.

Design-for-Sustainability ist für mich der größte Hebel, Elektronik anders, ja sogar neu zu denken. Hier sind uns beispielsweise die Franzosen voraus. Dort gibt es seit kurzen einen Reparatur-Index, der anzeigt, wie gut sich bestimmte Geräte reparieren lassen. Diese Themen werden auch zu uns kommen. Die EU-Taxonomie und das Lieferkettengesetz, das am 1. Januar 2023 in Kraft getreten ist, zeigen das deutlich. Daher entwickelt sich auch der Markt in diese Richtung.

Hintergrund: Was steckt hinter der EU-Taxonomie?

Die EU-Taxonomie ist ein Klassifizierungssystem, das von der Europäischen Union (EU) entwickelt wurde, um wirtschaftliche Aktivitäten nach ihrem Beitrag zur Erreichung von Umweltzielen zu kategorisieren und zu bewerten. Die Taxonomie soll dazu beitragen, die Ziele der EU für eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen, indem sie Unternehmen und Investoren dabei unterstützt, in umweltfreundliche und nachhaltige Projekte zu investieren.

Die EU-Taxonomie umfasst sechs Umweltziele:

  • Klimaschutz
  • Anpassung an den Klimawandel
  • nachhaltige Nutzung und Schutz der Wasser- und Meeresressourcen
  • Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft
  • Vermeidung und Verringerung der Umweltverschmutzung
  • Schutz und Wiederherstellung der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme.

Mit Hilfe der EU-Taxonomie sollen Unternehmen und Investoren nachhaltige Projekte identifizieren und bewerten können, um sicherzustellen, dass sie den Umweltzielen der EU entsprechen. Die Taxonomie kann auch dazu beitragen, die Transparenz und Vergleichbarkeit von Finanzprodukten und -dienstleistungen im Zusammenhang mit nachhaltigen Investitionen zu verbessern.

Wie setzen Sie Nachhaltigkeit bei Mayerhofer Elektronik um?

Merlin Reingruber: Einen Schritt, den wir in der Produktion gegangen sind, ist der Umstieg beim Zinn auf GreenTin von der Feinhütte Halsbrücke – übrigens als einer der ersten EMSler weltweit. Aktuell sind bereits die Hand- und Stangenlote umgestellt, Selektivlot folgt noch. Dieses Zinn ist komplett aus Sekundärrohstoffen gewonnen. Da diese qualitativ genauso hochwertig sind wie Zinn aus Primärrohstoffen, bekommt der Kunde davon nichts mit.

Ich weiß, dass es in unserer eher konservativen Branche Vorbehalte gegen Sekundärzinn gibt, etwa aufgrund fehlender Langzeiterfahrungen. Aber dieses Argument ist für mich nicht nachvollziehbar. Wir haben es damals bei der Umstellung auf bleifreie Lote gesehen. Da gab es genau dieselben Stimmen, die sich dann am Ende nicht bewahrheitet haben. Ein weiterer Baustein ist, dass wir unsere Leiterplattenreste und Schlacke vom Zinn an die Recycler zurückgeben.

Aber ja, aktuell bestelle ich noch die Leiterplatte aus China, um das Tagesgeschäft am Laufen zu halten – immer mit dem großen Ziel, es nicht mehr zu tun. Daher auch ganz offen und ehrlich: wir sind noch nicht da, wo wir hinwollen.

Zitat

Mit Symtronics haben wir innerhalb des Symworking Ecosystems ein Cluster aus Unternehmen der Elektronikbranche gebildet, mit dem wir als Inkubator und Accelerator für nachhaltige Elektronik die Wirtschaft der Zukunft gestalten.

Michael Schwienbacher

Ist nachhaltige Elektronik gewollt?

Merlin Reingruber: Definitiv. Immer mehr Kunden wollen wissen, wie ihre Elektronik gefertigt wurde, beispielsweise welche Rohstoffe verwendet wurden. Mit Kunden sind hierbei die Endkunden gemeint, wobei auch immer mehr Finanzgeber Einblicke haben wollen.

Michael Schwienbacher: Um hier ein Beispiel zu nennen: Wenn ich mir die Investoren von Blackrock von vor zehn Jahren anschaue und was sie heute machen, muss ich feststellen, dass sie sich um 180° gedreht haben. Zum Teil ziehen amerikanische Bundesstaaten sogar Milliarden ab, weil ihnen Blackrock zu nachhaltig investiert. Das ist eine riesige Veränderung. Daher werden die Forderungen nach mehr Nachhaltigkeit in der Zukunft deutlich zunehmen.

Ist der (End-)Kunde aber auch bereit, mehr Geld für sein nachhaltiges Produkt zu zahlen?

Merlin Reingruber: Dazu greife ich das Beispiel von vorhin auf. Fold.ai ist ein Kunde von Mayerhofer und Member des Symworking Ecosystems. Wie gesagt lässt sich mit ihren Sensoren das Mikroklima im Wald überwachen. Auch denen geht es darum, dass sie die Elektronik so günstig wie möglich bekommen. Aber: Sie sind auch bereit ein wenig mehr zu zahlen, weil sie es nicht verantworten können, dass ihre Elektronik hierzulande der Natur hilft, gleichzeitig aber in China bei der Herstellung der günstigen Komponenten Umweltschäden aufgrund von Chemikalien etc. entstehen. Das war übrigens auch ein Grund, warum wir Fold.ai als Kunden gewinnen konnten. Nach ihren Recherchen sind sie darauf gestoßen, dass es außer uns keine Unternehmen gibt, die sich so intensiv und innovativ mit Nachhaltigkeit beschäftigten.

Natürlich muss ich zugeben, dass der Großteil der Kunden noch nach Design-to-cost fragt, also nach der möglichst günstigsten Elektronik – egal wie nachhaltig das ist. Da gibt es auch nichts zu beschönigen. Das erlebe ich sehr oft bei Einkäufern aus der Automotive-Branche. Gleichzeitig bin ich davon überzeugt, dass der Change im Mindset der Kunden kommen wird. Vielleicht brauchen wir noch zwei, fünf oder zehn Jahre, bis sie das wirklich akzeptieren. Im B2C-Bereich wird das schneller gehen. In der Elektronikindustrie, beim B2B-Kontakt von EMS zu OEM, wird das aber noch länger dauern.

Wir als E²MS-Unternehmen müssen uns diesem Transformationsprozess anpassen. Da lade ich jeden ein, mitzumachen. Wir stehen da erst am Anfang. Aus diesem Grund haben wir Symtronics als Cluster des Symworking Ecosystems ins Leben gerufen.

 

Das Symworking Ecosystem stellt sich vor

Sym ist eine Unternehmensgruppe, die sich ökologisch, regional und sozial nachhaltigen Prinzipien einer neuen und fairen Wirtschaftsweise verschreibt. Mit der Art des vernetzten Wirtschaftens will sie symbiotische Strukturen zur Nutzung gemeinsamer Ressourcen, Erfahrungen und Kompetenzen schaffen.

Was steckt hinter Symtronics?

Merlin Reingruber: Symtronics ist das Institut für nachhaltige Elektronik, bei dem viele Unternehmen ihr Know-how einbringen können. Das Problem ist, dass in der Branche noch keiner so richtig weiß, was eine Elektronik wirklich nachhaltig macht. Daher ist hier auch noch viel Forschung und Entwicklung notwendig. Es gibt beispielsweise bei Würth Elektronik Ideen, 80 Prozent des Lötstopplacks einzusparen, indem man nur die Kupferleiterbahnen Top und Bottom lackiert und den Rest freilässt. Dazu müssten jedoch die IPC und andere ihre Regularien ändern, damit sich so etwas durchsetzt.

Wir sehen dabei Symtronics als Inkubator und Accelerator für nachhaltige Elektronik. Zielkunden sind Startups/Unternehmen im Hardwarebereich, die eine Neuentwicklung oder ein Re-Design ihrer Elektronik mit dem Anspruch auf Nachhaltigkeitsanspruch brauchen und an der Etablierung von Kreislaufwirtschaft im Bereich der Elektronik interessiert sind.

Was ist Ihr längerfristiges Ziel?

Michael Schwienbacher: Ich sagte ja eingangs, dass wir oft als Geisterfahrer bezeichnet wurden. Ich sehe uns jetzt als Pionier und als Trendsetter. Gemeinsam mit vielen Unternehmen stoßen wir eine Entwicklung an, um die Nachhaltigkeit in der Elektronik voranzutreiben.

Ich kann auch sagen, warum sich dieser Trend durchsetzen wird und warum es irgendwann alle tun werden: Die Moral ist eine andere! Früher war es moralisch in Ordnung, auf Basis unmenschlicher Verhältnisse in China zum billigsten Preis fertigen zu lassen. Die Menschen auf europäischer Ebene haben aber verstanden, dass das kein Weg mehr sein kann.

Letztlich bin ich auch davon überzeugt – auch wenn mir aktuell noch die Zahlen fehlen – dass eine ökologische, soziale und finanziell ausgewogene Fertigung, von der Produktidee bis zum Support und dem Recycling, über die gesamte Laufzeit immer günstiger ist. Meiner Meinung nach kann ich so auch Mitarbeiter besser halten und gegenüber Kunden besser argumentieren. All das sind ebenfalls Kostenfaktoren.

Wie ist Ihr Standpunkt zur Initiative der Solderpunks, die sich „faire und nachhaltige Elektronik“ auf die Fahne geschrieben haben?

Merlin Reingruber: Ich unterstütze jede Initiative, die in diese Richtung geht. Das ist gar keine Frage. Aber wir müssen tiefer gehen! Wir müssen alle beteiligten Unternehmen ins Boot holen, vom Widerstands- bis zum Halbleiterhersteller. Zudem müssen wir den Anteil der Primärrohstoffe reduzieren und das auch beweisen können. Wir müssen auf Knopfdruck sagen können, welcher Anteil eines Produkts aus Sekundärrohstoffen besteht. Meiner Meinung nach wird die Revolution der Elektronik durch das Etablieren von Kreislaufwirtschaft geprägt.

Schauen wir auf den Ansatz von Design for Sustainability aus einer anderen Perspektive: Wenn das Produkt eines Unternehmens sehr lange funktioniert, dann sinkt doch der Absatz?

Merlin Reingruber: Ich habe da einen anderen Ansatz, denn ich gehe davon aus, dass sich die Geschäftsmodelle der Zukunft verschieben werden: weg vom gekauften Produkt, hin zum geliehenen oder geleasten Produkt. Wir haben einen Kunden, der seine Elektronik nicht verkauft, sondern die Dienstleistung rund um die Hardware, also Software- und Product-as-a-service. Seine Sicht auf die Dinge: Umso länger mein Produkt funktioniert, desto wirtschaftlicher ist es für mich. Solche Unternehmen haben dann überhaupt kein Interesse daran, dass ihr Produkt kaputtgeht – am besten sechs Monate nach Ende der Garantie. Ein weiterer Vorteil: das Produkt kommt immer wieder zum Hersteller zurück, was das Recycling oder Refurbishing, beispielsweise den Austausch der Batterie, deutlich erleichtert, weil es zentral geschehen kann.

Hintergrund: Symtronics, das Institut für nachhaltige Elektronik

Die Mission von Symtronics lautet „Mit den Gründungsmitgliedern von Symtronics verbinden und vernetzen wir die Bereiche Rohstoffe, Fertigung, Entwicklung und Recycling, um Elektronik gemeinsam nachhaltig und effizient zu gestalten.“ Dabei umfasst das Institut drei zentrale Aspekte

  • Schulung und Wissensvermittlung: zu Kreislaufwirtschaft, Netzwerkleistungen, ressourcenschonenden Herstellungsprozessen, Design for Sustainability
  • Netzwerk & Marktplatz: Plattform zur Vernetzung, Kooperation und Zusammenführung von Angebot und Nachfrage im Bereich von nachhaltiger Elektronik
  • Innovation Hub: Rahmen zum Austausch über Nachfrage, technische Herausforderungen und Lösungen sowie Entwicklungsideen.

Im Gespräch unter vier Augen heißt die entsprechende Frage: „Können wir da im Aftersales noch etwas machen?“. Dann weiß ich genau, wohin die Reise gehen soll. Aber im Gegenteil, wir versuchen immer, dass die Elektronik so langlebig ist wie möglich. Außerdem entwickelt sich die Hard- und Software ja auch immer weiter und irgendwann reicht die alte Generation nicht mehr, dann muss ich meine Geräte auch austauschen.  

Michael Schwienbacher: Kurzer Einwand von mir: Geplante Obsoleszenz ist meines Erachtens moralisch verwerflich.

Aber zum Thema Geschäftsmodelle. Ich sehe auch zukünftig mehr Pay-per-use und shared economy. Das Kauf- und Nutzungsverhalten wird sich ändern. Damit verbunden wird sich auch der Begriff des Eigentums wandeln. In München geht der Trend beispielsweise hin zum shared car, das gleiche bei Fahrrädern und Rollern. Apropos München: hier werden aktuell viele Start-ups aus dem Bereich Circular Economy mit Millionen von Euro gefördert! Die werden in fünf bis zehn Jahren dann mit ihren Ideen im Markt sein.

Ein anderer Interviewpartner antwortete mir auf die Frage, ob er noch Hoffnung habe, dass wenn er sie nicht hätte, dass er sich auch gleich erschießen könnte. Wie sieht es bei Ihnen mit der Hoffnung aus, wenn Sie in die Zukunft blicken?

Merlin Reingruber: Ich habe sehr große Hoffnung, dass wir Elektronik nicht mehr nur als Wegwerfprodukt behandeln, sondern eine gewisse Wertschätzung entwickeln. Auch die Geschichte mit dem Hersteller in Ottobrunn hat mir Hoffnung gemacht, dass es auch anders gehen kann.

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