Interview zur Automotive Computing Conference 2025              

„Das Herz und die DNA des Fahrzeugs sind Software und HPC“

Chiplet-Architekturen verändern die Automobilindustrie grundlegend. Imec-Vizepräsident Bart Placklé erläutert, warum es modulare Designs, Interoperabilität und eine starke europäische Zusammenarbeit im Automotive High-Performance Computing braucht.

Bart Placklé, Vice President Automotive bei Imec.

Mit mehr als zwei Jahrzehnten Erfahrung in der Automobil- und Halbleiterbranche hat Bart Placklé zentrale Transformationsprozesse mitgestaltet – von der Konsolidierung von Infotainmentsystemen über die Evolution der Domain-Controller bis hin zu frühen autonomen Mobilitätsprogrammen bei Intel. Als Vice President Automotive bei Imec treibt er heute die Integration von Chiplets als Basis für die nächste Generation des High-Performance-Computing im Fahrzeug voran.

Auf der Automotive Computing Conference 2025 wird Placklé über die strukturellen und wirtschaftlichen Grenzen klassischer SoC-Designs sprechen – und erläutern, warum offene, interoperable Chiplet-Ökosysteme entscheidend sind für skalierbare, souveräne Fahrzeugrechenleistung in Europa. Im Vorfeld der Veranstaltung interviewten wir ihn dazu.

Herr Placklé, die Leistungsfähigkeit im Bereich Automotive Computing stößt im traditionellen System-on-Chip-Design an physikalische und wirtschaftliche Grenzen. Wie können Chiplets der Branche helfen, die Führungsrolle im High-Performance Automotive Computing zurückzugewinnen?

Da Fahrzeuge zunehmend teilautonom werden, wachsen die Rechenanforderungen für selbstfahrende künstliche Intelligenz und Inferenz exponentiell (also für die Wahrnehmung und Vorhersage der Umgebung rund um das Fahrzeug). Gleichzeitig wird das Auto dank automatisiertem Fahren wieder zu einem echten, perfekten Entertainment- oder Büro-Raum auf Rädern, was durch den Bedarf an agentenbasierter Edge-KI die In-Cabin-Rechenanforderungen auf ein bisher unerreichtes Niveau treibt. Wenn man diese Herausforderungen mit der Tatsache kombiniert, dass sich die meisten Hochleistungssteuergeräte derzeit zu einer einzigen HPC-Steuereinheit konsolidieren, ist klar: Die Rechenanforderungen steigen weiter – und zwar über alles hinaus, was wir bislang gesehen haben. Aber die Herausforderung endet hier nicht.

Alles zur Automotive Computing Conference

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Die Automotive Computing Conference konzentriert sich auf die Herausforderungen der Sicherheit, der funktionalen Sicherheit, der Cloud-Konnektivität und der zunehmenden Komplexität des Fahrzeugdesigns. Das Ziel ist es, traditionelle Ansätze zu revolutionieren und an die Bedürfnisse der Automobilindustrie anzupassen. Hochkarätige Referenten werden am 13. und 14. November 2025 in München in die Welt des Automotive High Performance Computing eintauchen und ein breites Spektrum an Aspekten abdecken.

Weitere Infos zur Automotive Computing Conference gibt es hier oder auf dem LinkedIn-Kanal.

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Zudem findet 2026 auch die nächste ACC in Amerika am 24. und 25. März in Detroit statt.

Wie wirken sich diese steigenden Leistungsanforderungen auf wirtschaftliche und strukturelle Herausforderungen der Branche aus?

Selbst wenn automatisiertes Fahren und fortgeschrittene Fahrerassistenzsysteme in den meisten der jährlich rund 90 Millionen produzierten Fahrzeuge eingebaut werden – eine Zahl, die weiter sinkt –, arbeitet die Automobilindustrie weiterhin mit Stückzahlen, die weit unter denen von Smartphones liegen, verlangt aber gleichzeitig eine deutlich höhere Rechenleistung. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht haben wir es also mit einem Problem von zwei Größenordnungen zu tun. Die Entwicklung der neuesten monolithischen Hochleistungsdesigns kostet bereits rund zwei Milliarden, sodass nur noch wenige Anbieter übrigbleiben. Ich denke, zu sagen „das ist keine gute Entwicklung“ ist noch untertrieben. Alles, was ich beschrieben habe, war absehbar – und genau deshalb sind wir einen neuen Weg gegangen und bauen solche Hochleistungsrechner jetzt anders. Und falls das nicht schon herausfordernd genug war: Wir haben das geopolitische Umfeld nicht vorhergesehen, in dem die Lieferkette nicht mehr selbstverständlich ist. Das Herz und die DNA des Fahrzeugs sind Software und High-Performance Computing – und genau hier hat Europa ein echtes Problem: Wir verfügen nicht über Spitzentechnologie, die das Herz des Autos bildet. Das muss sich ändern – und zwar sofort.

Wo sehen Sie den Ausgangspunkt für diese Veränderung? Wie kann Europa im Bereich High-Performance Computing und Halbleitertechnologie realistisch aufholen?

Wir haben keine Spitzentechnologie, aber wir haben sehr gute Bausteine – wie das herausragende europäische Beispiel zeigt, bei dem Airbus die erfolgreichsten Flugzeuge nicht dadurch gebaut hat, dass man alles selbst gemacht hat, sondern indem man sämtliche High-End-Kompetenzen aus der Region gebündelt hat. Genau das tun wir bei Automotive-Chiplets. Wir haben KI-Beschleuniger der Spitzenklasse, leistungsstarke CPU-Architekturen wie Arm und künftig RISC-V. Wir haben Unternehmen wie NXP und Infineon, die bei I/O, Sicherheit und Cybersicherheit führend sind, und Bosch, das mit einem Basis-Die den Automobilkontext liefert. Wir haben also alle technologischen Voraussetzungen, um das auf den Weg zu bringen. Der Aufbau eines „Airbus“ für High-Performance Automotive Computing ist der Weg zur technologischen Souveränität – das gilt auch für die Robotik. Damit dies wirtschaftlich skalierbar wird, müssen die Chiplets interoperabel sein – also unabhängig voneinander entwickelt und später zusammengefügt („late bound“) werden können – und sie müssen den extremen Umweltanforderungen der Automobilindustrie standhalten. Durch die Ausrichtung des Ökosystems auf Interoperabilität und gezielte Forschung zu Qualität und Zuverlässigkeit wollen wir die Einführung von Automotive-Chiplets beschleunigen und risikoärmer gestalten – als Weg hin zu souveräner, modernster Fahrzeugtechnologie.

Auf der ACC 2025 sprechen Sie über Schnittstellen-Standardisierung als Weg zu kostenoptimierten Chiplet-Lösungen. Welche Fortschritte wurden bei der Interoperabilität erzielt – und was fehlt noch, um echte Skalierbarkeit über Supplier hinweg zu erreichen?

Am Anfang lag der Fokus darauf, die Branche davon zu überzeugen, dass der neue Weg mit Chiplets der richtige ist. Heute müssen wir niemanden mehr davon überzeugen, dass Chiplets der Weg sind – aber auf Ihre Frage: Was es braucht, damit Chiplets „fliegen“ (oder fahren), ist nahtlose Interoperabilität. Wenn einzelne vertikale Ökosysteme bei ihrem proprietären Chiplet-Satz bleiben, wird es keine Skalierung und Wiederverwendbarkeit über Anbietergrenzen hinweg geben. Dann landet man bei einer Kostenstruktur, die möglicherweise sogar höher ist als bei monolithischen Designs in Reticle-Größe – weil die Vorteile bei Ertragseinsparung und Heterogenität nicht ausreichen, um die zusätzlichen Tape-Outs für alle Chiplets zu kompensieren. Der gesamte Mehrwert entsteht nur, wenn man mehrere CPU-, GPU-, Basis- und KI-Einheiten in unterschiedlichen Kombinationen für verschiedene Leistungsstufen und Kunden einsetzen kann. Das ist der Schlüssel zur Wirtschaftlichkeit.

Was braucht es, damit solche skalierbaren Chiplet-Lösungen tatsächlich interoperabel über verschiedene Anbieter und Architekturen hinweg funktionieren?

Der Chiplet-Erfolg hat das Ökosystem ganz schön durcheinander gewirbelt: Jetzt hat plötzlich jeder ein Chiplet-Produkt – aber sie sind in der Regel nur mit sich selbst kompatibel. Unser aktueller Fokus liegt daher auf der Erstellung einer Referenzspezifikation, die sicherstellt, dass Chiplets miteinander kommunizieren können. Um echtes Late Binding zu ermöglichen, reicht es bei weitem nicht aus, dass die Die-to-Die-Physik übereinstimmt. Der Universal Chiplet Interconnect Express leistet gute Arbeit auf der physischen Ebene, aber echte Interoperabilität beim Late Binding erfordert auch die Angleichung auf höheren Protokollebenen, bei Sidebands, Boot, Safety und Softwarestrukturen. Mit der Imec Automotive Chiplet Platform Reference Architecture Specification versuchen wir, all diese Abhängigkeiten zu integrieren – nicht um das Rad neu zu erfinden, sondern um bestehende Standards zu bündeln und sie gezielt weiterzuentwickeln, wo nötig, um durchgängige Chiplet-Interoperabilität zu erreichen.

Imec war und ist ein zentraler Treiber von Chiplet-Innovationen – vom Konzept bis zum Prototyp. Wie müssen Forschungsinstitute, Foundrys und OEMs zusammenarbeiten, um Chiplet-Architekturen erfolgreich zu gestalten?

Unser Imec-Chiplet-Programm für Automotive geht jetzt ins dritte Jahr. Wir haben verschiedene Interoperabilitätsstufen modelliert und mehrere thermomechanische Testsysteme gebaut, um auszuloten, wie weit wir das Packaging treiben können, das den Anforderungen an Kosten, Leistung und Qualität in der Automobilbranche genügt. Das war erfolgreich – aber wir müssen schneller werden und die Erkenntnisse näher an die Serienproduktion bringen. Wir haben deshalb beschlossen, einen Schritt weiterzugehen: Wir fokussieren uns nicht mehr nur auf thermomechanische Testsysteme. In Heilbronn beginnen wir jetzt mit dem Aufbau funktionaler Referenzdesigns, bei denen bestehende und zukünftige Chiplets aus dem Ökosystem kombiniert werden – um die Produktion zu beschleunigen und Risiken zu senken.

Welche zusätzlichen Erkenntnisse erwarten Sie sich vom Bau und Test dieser Referenzdesigns im Vergleich zu Simulationen oder theoretischen Modellen?

Durch den realen Aufbau solcher Chiplet-Systeme und deren Inbetriebnahme lernen wir enorm viel – und können diese Learnings mit dem Ökosystem teilen. Das reicht von Lieferkettenproblemen, wenn Wafers und Chiplets hin und her wandern, bis hin zu Fragen rund um Sicherheit, Boot-Vorgänge, Stromversorgung, Kühlung und Systemmanagement. Jeder muss diese Lernkurve durchlaufen, wenn er mit Chiplets arbeitet. Jedes neue Chiplet bringt neue Herausforderungen – etwa minimale Gehäuse- oder Protokollabweichungen. Und wer weiß, was wir noch nicht auf dem Radar haben. Heilbronn wird unser Testfeld für Chiplet-Integration – so wie Imec es für neue Prozesstechnologien ist. Das Ziel ist klar: herausfinden, was scheitert, empfehlen, was funktioniert – sowie die Einführung von Automotive-Chiplets beschleunigen und risikoärmer machen.

Dieses Interview erschien zuerst auf unserem englischsprachigen Portal Automotive Digital Transformation.