Auf dem Weg zum Software first Car

Wie Automotive Computing neu gedacht werden muss

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Automotive Tech Innovation: A futuristic car design seamlessly integrates with a high-tech circuit board, representing the future of automotive technology and design.

Die Digitalisierung stellt Automotive Computing vor strukturelle, wirtschaftliche und technologische Herausforderungen. Im Zuge dessen stehen neue Architekturen, Softwarekonzepte und Halbleiterstrategien zur Diskussion. Wir haben in die Branche gehört.

Automotive Computing steht an einem Wendepunkt: Die Branche bewegt sich weg von stark verteilten Steuergeräte-Landschaften hin zu zentralisierten oder zonalen Architekturen – und ringt gleichzeitig mit der Umsetzung softwaredefinierter Fahrzeugkonzepte. Hinzu kommt, dass die Anforderungen an Rechenleistung, Zuverlässigkeit und Sicherheit rasant steigen. Gleichzeitig geraten Zeitpläne, Budgets und regulatorische Rahmenbedingungen zunehmend unter Druck. Inmitten dieser Gemengelage stellt sich die Frage: Wie kann es gelingen, moderne Rechenarchitekturen zu realisieren, die nicht nur technisch überzeugen, sondern auch industriell umsetzbar und wirtschaftlich tragfähig sind?

Eine Schlüsselrolle spielt dabei das Zusammenspiel aus Architekturdesign, Softwarestrategie und Halbleitertechnologie. Zentralisierte Plattformen, zonale E/E-Architekturen und Chiplet-basierte Ansätze stehen im Wettbewerb – ebenso wie proprietäre Lösungen und offene, standardisierte Modelle. Wer sich durchsetzen will, braucht neben Technologieverständnis vor allem einen klaren Blick für Skalierbarkeit, Modularisierung und Kooperationsfähigkeit.

Um ein realistisches Bild zu gewinnen, haben wir unter anderem mit drei Experten aus dem Fachbeirat der Automotive Computing Conference gesprochen – die am 13. und 14. November 2025 in München stattfindet. Wir wollten wissen: Wie steht es wirklich um die Einführung zonaler Architekturen? Welche Strategie verfolgen Unternehmen beim Software-defined Vehicle? Und welche Hürden stehen dem Chiplet-Einsatz in der Praxis entgegen? Die Einschätzungen von drei führenden Köpfen zeigen ein differenziertes Bild, das wir hier bündeln.

Alles zur Automotive Computing Conference

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Die Automotive Computing Conference konzentriert sich auf die Herausforderungen der Sicherheit, der funktionalen Sicherheit, der Cloud-Konnektivität und der zunehmenden Komplexität des Fahrzeugdesigns. Das Ziel ist es, traditionelle Ansätze zu revolutionieren und an die Bedürfnisse der Automobilindustrie anzupassen. Hochkarätige Referenten werden am 13. und 14. November 2025 in München in die Welt des Automotive High Performance Computing eintauchen und ein breites Spektrum an Aspekten abdecken.

Weitere Infos zur Automotive Computing Conference gibt es hier oder auf dem LinkedIn-Kanal.

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Zudem findet 2026 auch die 3. ACC in Amerika am 25. und 26. März 2025 in Detroit statt.

Wo steht die Branche bei zonaler E/E-Architektur wirklich?

Martin Schleicher (Eclipse Foundation) betont vor dem Hintergrund der Frage „Wo steht die Branche bei zonaler E/E-Architektur wirklich – und was sind die größten Bremsfaktoren für den breiten Rollout?“, dass sich zonale E/E-Architekturen der OEMs auf dem Papier ähneln, aber in der Praxis stark voneinander abweichen – etwa bei der Funktionsverteilung in Zonen-Controllern oder der Zusammenführung von ADAS und Cockpit. Ein zentrales Problem seien die Hardwarekosten, vor allem bei günstigeren Fahrzeugsegmenten. Zudem sei die notwendige Konsolidierung domänenspezifischer Systeme aufwendiger als vielfach von den Unternehmen angenommen. Hinzu kämen Herausforderungen bei Time-to-Market, Entwicklungskosten und der Einhaltung regulatorischer Anforderungen.

Björn Schuh, Management Consultant, unterstreicht den nötigen Paradigmenwechsel: Statt von der Fahrzeugplattform aus zu denken, müsse Software und Funktion den Ausgangspunkt bilden. Das erfordere einen Systemneuanfang, regulatorische Neubewertungen und hohe Investitionen. Allerdings fällt das in eine Zeit, in der nicht einmal sicher ist, wie sich der Markt zwischen Verbrenner und E-Antrieb entwickeln wird. Die Folge: Viele Aktivitäten werden gestoppt oder zurückgefahren. Stattdessen setzen manche Hersteller auf Zukäufe, um fehlende Kompetenzen aufzufangen – mit begrenztem Erfolg, wie etwa VW/Audi. Schuh nennt Open-Source-Ansätze wie das S-CORE-Projekt als Alternative. Hier werden gemeinsam Fortschritte erzielt, ohne dass jedes Unternehmen allein die vollständigen Entwicklungskosten tragen muss.

Hanno Wolff (Synopsys) richtet den Blick auf die strukturellen Voraussetzungen, unter denen SDV, zonale E/E-Architekturen und neue Chipkonzepte realisiert werden sollen. Die Herausforderung sieht er nicht im fehlenden Verständnis für moderne Architekturkonzepte, sondern in deren mangelnder Umsetzbarkeit. Automobilhersteller stammen aus einem Umfeld, in dem hohe Entwicklungskosten über große Stückzahlen und lange Produktzyklen von zehn bis zwanzig Jahren amortisiert werden. Im Fokus stehen Materialkosten und Produktionseffizienz – nicht schnelle technologische Zyklen. Die Transformation hin zu software- und halbleiterzentrierten Systemen verlangt jedoch eine völlig andere Denkweise, und zwar technisch, organisatorisch und prozessual.

Gleichzeitig steigen im aktuellen regulatorischen und geopolitischen Umfeld die Anforderungen an Softwarequalität, Systemintegration und Halbleiterkompetenz, während der Kostendruck massiv zunimmt. Neue Architekturen lassen sich weder rückwirkend auf bestehende Plattformen anwenden noch isoliert durchsetzen: Zum SOP einer neuen Architektur steht die nächste technologische Generation oft bereits vor der Tür. Ohne tragfähigen Migrationspfad für bestehende Fahrzeuge droht jeder technologische Neuanlauf zum Strohfeuer zu werden – teuer in der Entwicklung, aber nicht nachhaltig über den Lebenszyklus wartbar.

Wolffs Fazit: Die Branche befindet sich nicht länger im Zeitalter der automobilen Beschleunigung, sondern in einem Zustand permanenter Disruption – gefangen im Zielkonflikt zwischen Skalierbarkeit, Time-to-Market und effizienter Entwicklung.

SDV: Evolution statt Revolution – mit Open Source als Rettungsanker?

Vor diesem Hintergrund verliert das Software-defined Vehicle (SDV) zunehmend seine Aura als große Systemrevolution – und wird stattdessen als evolutionärer Entwicklungspfad verstanden. Zu tief sind die Abhängigkeiten von bestehenden Plattformen, zu komplex die parallele Pflege traditioneller Architekturen. Statt disruptiver Brüche setzen viele Unternehmen auf schrittweise Integration: SDV-Elemente wie virtuelle Steuergeräte, entkoppelte Softwareentwicklung oder dynamische Feature-Updates werden sukzessive eingeführt während bestehende E/E-Strukturen im Feld verbleiben.

Laut Martin Schleicher sind vor allem neue Entwicklungsprozesse und Werkzeuge entscheidend, um SDV-Prinzipien tatsächlich umzusetzen. Björn Schuh beobachtet, dass sich viele Unternehmen aufgrund von Budgetdruck und strategischer Unsicherheit zunächst zurückziehen oder durch Partnerschaften verlorenes Terrain zurückgewinnen wollen. Einen pragmatischen Ausweg sieht er in Open-Source-Initiativen wie dem bereits erwähnten S-CORE-Projekt, bei dem mehrere OEMs gemeinsam an SDV-Basistechnologien arbeiten – mit geteilten Risiken und reduzierten Entwicklungskosten.

Chiplets im Fahrzeug: Konzept mit Potenzial, aber vielen Unbekannten

Der dritte Fragenkomplex – die Herausforderungen bei der Einführung von Chiplets – bringt eine zusätzliche technische und strategische Dimension ins Spiel. Während SDV und zonale Architekturen das Systemdesign betreffen, greifen Chiplets tiefer in die Halbleiterstruktur ein. Ihre Einführung könnte die Hardwarelandschaft fundamental verändern insbesondere vor dem Hintergrund der zunehmenden Anforderungen an Rechenleistung, Energieeffizienz und Modularität.

Martin Schleicher (Eclipse Foundation) nennt als zentrale Herausforderungen die Verfügbarkeit von Chiplets und die Verantwortung für die Integration von Chiplets unterschiedlicher Firmen. Björn Schuh (Management Consultant) sieht die größte Herausforderung im Schaffen von Standards und darin, diese in der Architektur wirksam und kostengünstig einzusetzen. Außerdem sei Stückzahl versus Invest abzuwägen.

Zwischen Hoffnung und Realität

Vision, Wirklichkeit und wirtschaftlicher Druck: In zwei Interviews – mit zum Teil konträren Blickwinkeln – vertiefte die Redaktion die Lage rund um Chiplets im Automotive-Bereich: Während Bart Placklé, Vice President Automotive bei imec, Chiplets als unverzichtbare Grundlage zukünftiger Fahrzeugarchitekturen sieht, betont Andy Heinig vom Fraunhofer IIS die wirtschaftlichen Hürden und fordert einen klaren Business Case.

Für Placklé sind Chiplets unausweichlich: Sie bieten die notwendige Flexibilität, um auf komplexe und zunehmend KI-getriebene Anwendungen im Fahrzeug zu reagieren und das bei begrenzten Volumina. Chiplets erlauben eine modulare Architektur, in der Unternehmen einzelne Komponenten wie KI-Beschleuniger, CPUs oder I/O-Bausteine gezielt entwickeln, kombinieren und später aktualisieren können. Gleichzeitig lassen sich ältere Nodes für weniger kritische Funktionen weiterverwenden, was ein zentraler Hebel ist, um Kosten zu senken. Entscheidend ist für ihn die Standardisierung auf Package- und Protokollebene, um echte Interoperabilität zu ermöglichen. Genau hier setzt imec mit dem neuen Zentrum in Heilbronn an: Ziel ist es, funktionierende Referenzdesigns zu entwickeln, die OEMs und Tier-1s Vertrauen in die Skalierbarkeit und Praxistauglichkeit der Chiplet-Technologie geben.

Andy Heinig hingegen verweist auf die wirtschaftlichen Realitäten, welche die anfängliche Euphorie rund um Chiplets gedämpft hätten. Denn: Im Automotive-Umfeld sei der Spielraum für teure Integrationen begrenzt. Ohne klaren Business Case – also ohne belastbare Modelle zur Kostenverteilung, zur Rollenverteilung in der Lieferkette und zu konkreten Anwendungsszenarien – werde sich die Technologie nicht durchsetzen. Zwar sieht auch er Vorteile in Modularisierung, Energieeffizienz und Plattformstrategie, doch mahnt er zur Vorsicht: Euphorie allein reicht nicht. Es braucht belastbare Konzepte, die sowohl technisch als auch ökonomisch tragfähig sind. Gemeinsam mit Industriepartnern arbeitet das Fraunhofer IIS deshalb an realitätsnahen Use Cases, Standards und Testumgebungen.

Beide Positionen machen deutlich: Ohne Zusammenarbeit, Standardisierung und Toolchain-Kompatibilität wird der Chiplet-Ansatz schwer skalieren. Doch das Potenzial bleibt groß. Insbesondere wenn es gelingt, die technologische Modularität mit einem industriell tragfähigen Entwicklungsmodell zu verbinden. Europa verfügt über die Kompetenzen. Entscheidend wird jedoch sein, sie auch in ein funktionierendes Ökosystem zu überführen.

Save the date: 30. Automobil-Elektronik Kongress

Save the Date! Der AUTOMOBIL-ELEKTRONIK Kongress findet 2026 am 16. und 17. Juni statt.
Save the Date! Der AUTOMOBIL-ELEKTRONIK Kongress findet 2026 am 16. und 17. Juni statt.

Am 16. und 17. Juni 2026 findet zum 30. Mal der Internationale Automobil-Elektronik Kongress (AEK) statt. Dieser Netzwerkkongress ist bereits seit vielen Jahren der Treffpunkt für die Top-Entscheider der Elektro-/Elektronik-Branche und bringt nun zusätzlich die Automotive-Verantwortlichen und die relevanten High-Level-Manager der Tech-Industrie zusammen, um gemeinsam das ganzheitliche Kundenerlebnis zu ermöglichen, das für die Fahrzeuge der Zukunft benötigt wird. Trotz dieser stark zunehmenden Internationalisierung wird der Automobil-Elektronik Kongress von den Teilnehmern immer noch als eine Art "automobiles Familientreffen" bezeichnet.

Sichern Sie sich Ihr(e) Konferenzticket(s) für den 30. Automobil-Elektronik Kongress (AEK) im Jahr 2026! Folgen Sie außerdem dem LinkedIn-Kanal des AEK und #AEK_live.

Im Channel zum Automobil-Elektronik Kongress finden Sie Rück- und Vorberichterstattungen sowie relevanten Themen rund um die Veranstaltung.

RISC-V und Chiplets: Strategische Hebel für eine modulare Fahrzeugarchitektur

Eine ganz eigene Perspektive brachte die Podiumsdiskussion „Computing Architectures of the Future“ auf dem AUTOMOBIL-ELEKTRONIK Kongress ein: Dort diskutierten Jyotika Athavale (zu diesem Zeitpunkt noch Synopsys, mittlerweile Waymo), Robert Moran (NXP), Andrea Gallo (RISC-V International) und Bart Placklé (imec) über die künftige Rolle von offenen Architekturen, modularem Hardwaredesign und verteilten Verantwortlichkeiten – mit RISC-V als prominenter technischer und strategischer Hebel.

Die Diskussion zeigte dabei, wie eng die Konzepte rund um Chiplets und RISC-V miteinander verbunden sind. Beide Ansätze zielen auf mehr Modularität, geringere Entwicklungskosten und technologische Souveränität. RISC-V wird dabei als strategisches Fundament für eine durchgängige Skalierung in der Fahrzeugarchitektur betrachtet. „RISC-V ist im Automotive-Bereich besonders attraktiv, weil es vom Steuergerät über den Domänencontroller und Zonenknoten bis hin zur zentralen Recheneinheit auf derselben offenen Befehlssatzarchitektur basiert – und sich dadurch skalieren lässt“, sagte Andrea Gallo (RISC-V International).

Was die Industrie braucht, sind Standards, Profile, Referenzarchitekturen, nicht nur bei RISC-V. Kamerainterfaces, Betriebssysteme, Testverfahren: Europa könne es sich nicht mehr leisten, alles dreimal zu entwickeln. „Wir sollten in Europa zu einer Architektur kommen, die zu 80 % einheitlich ist [...] lasst uns dafür sorgen, dass wir eine Plattformstrategie haben, bei der 80 % wiederverwendet werden können“, betonte Bart Placklé (imec).

„Airbus der Automobilindustrie“

Auch Robert Moran (NXP) hob hervor, dass die Zukunft des Automotive Computing modular und skalierbar sei, allerdings „dürfen wir dabei nicht vergessen, dass es sich immer noch um die Automobilindustrie handelt [...] wir müssen viel stärker auf die Modularität der zugrunde liegenden Hardware achten“, betonte Moran. Denn während China neue Plattformen jährlich bringt, diskutiert man in Europa noch über proprietäre Kamera-Links.

Wie sehr Bart Placklé an die Technologie glaubt und auf sie setzt, zeigt sich nicht nur in seinen Aussagen im Interview, sondern auch in seinem visionären Vorschlag auf der Podiumsdiskussion: „Ich bin absolut überzeugt, dass wir in Europa zum Airbus der Automobilindustrie werden können [...] die Technologie und die Werkzeuge, um all das zusammenzubringen – genau das bieten Chiplets“, erklärte er. Die Bausteine seien vorhanden – man müsse sie nur zusammenführen. Chiplets könnten das verbindende Element sein, sofern Standardisierung, Open-Source-Toolchains und ein kollaboratives Mindset etabliert würden.

Zeit für europäische Klartextstrategie

Fest steht, die Branche steht unter Druck. Nicht nur durch chinesische Hersteller, die immer mehr (und erfolgreich) auf den Markt drängen. Auch viele zukunftsträchtige Entscheidungen stehen an. Aber: SDV, Chiplets, zonale Architekturen, AI – das alles ist kein Zukunftsthema mehr. Wer 2030 Fahrzeuge bauen will, muss jetzt in die richtige Rechenarchitektur investieren. Doch die Lösung liegt nicht allein in Technik. Es braucht Standards, Profile, Kooperationen und den Mut, Plattformdenken zuzulassen. Der Appell an die Branche ist klar: Nicht mehr jeder für sich und möglichst viele Mitarbeiter mitnehmen auf dieser Reise. Die Automotive Computing Conference ist ein Ort, an dem diese Diskussion nicht nur geführt, sondern in Bewegung gebracht wird.

Der Autor: Dr. Martin Large

Martin Large

Aus dem Schoß einer Lehrerfamilie entsprungen (Vater, Großvater, Bruder und Onkel), war es Martin Large schon immer ein Anliegen, Wissen an andere aufzubereiten und zu vermitteln. Ob in der Schule oder im (Biologie)-Studium, er versuchte immer, seine Mitmenschen mitzunehmen und ihr Leben angenehmer zu gestalten. Diese Leidenschaft kann er nun als Redakteur ausleben. Zudem kümmert er sich um die Themen SEO und alles was dazu gehört bei all-electronics.de.

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