Warum das BEV kommt – im Pkw teils auch mit Range-Extender
Alfred VollmerAlfredVollmer
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Bild 1: Der ganzheitliche E-Mobilitätsbaukasten von ZF. Die Thermomanagement-Einheit kommt dann noch als separate Einheit hinzu.(Bild: ZF)
Wohin geht der Trend bei der Elektromobilität – und warum? Was können die Pkws von den Nutzfahrzeugen lernen? Welche neuen EV-Lösungen gibt es auf der IAA zu sehen? Wie weit ist der Einsatz von SiC und GaN im EV? Dieser Beitrag gibt Antworten.
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Lange Zeit haben nicht nur die meisten westlichen OEMs, sondern auch die meisten Zulieferer E-Fahrzeuge so konzipiert, dass sie an Stelle eines Verbrennungsmotors (ICE) einen Elektromotor verbauten und den Bauraum (auch in punkto Batterie) entsprechend anpassten – stets auf Basis einer „Legacy“ (Altlast) der konventionellen ICE-Fahrzeuge mit oft über 100 ECUs. Jetzt kommt mit dem Zeitalter des SDV (Software Defined Vehicle) die Möglichkeit, eine wirklich neue Fahrzeuggeneration auf die Straße zu bringen – eine Generation, deren technisches Konzept auf Grund des rein elektrischen Antriebs (kein Hybrid) auch (wieder) für den riesigen chinesischen Markt als NEV (New Energy Vehicle) attraktiv ist. Zudem sind viele Funktionen immer höher automatisierter SDVs eigentlich nur mit reinem E-Antrieb über Plattformen hinweg skalierbar.
Von den drei ganz großen deutschen Zulieferern Continental (wird in Kürze zu Aumovio), Bosch und ZF scheinen nur Aumovio und vor allem ZF die Elektromobilität auch in den Fokus ihrer IAA-Exponate zu stellen. ZF zeigte ausgewählten Journalisten (AUTOMOBIL-ELEKTRONIK war dabei) bereits im Juli ein breites Spektrum an E-Mobilitäts-Neuheiten, wobei die iStop genannte Funktion den Autor in einem Fahrversuch besonders beeindruckt hat. Die Software von iStop bremst das EV nämlich rein elektrisch bei sehr hoher Verzögerung rein über den Traktionsmotor. Auch bei wirklich starker Betriebsbremsung (keine Notbremsung) über den Elektromotor verzögerte das Fahrzeug so in den Stillstand, dass es nach dem Stopp nicht zurückwippte – wie bei einem Schnellzug. Es rekuperierte die Energie mit bis zu 75 kW, so dass die kinetische Energie erst bei schon fast unangenehm starken Bremsvorgängen über Widerstände oder die Reibungsbremse in Wärme umgewandelt wurde.
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Kommt die Elektromobilität jetzt wirklich?
Schon auf dem 46. Wiener Motorensymposium im Mai dieses Jahres hat sich gezeigt, dass die herkömmliche Verbrennertechnologie offensichtlich mittlerweile – vor allem auf Grund der Entwicklungen in China – erheblich unter Druck steht. Zwei der vier Vorträge in der (auch in Bezug auf politische Botschaften) besonders wichtigen Plenar-Eröffnungssektion beschäftigten sich intensiv mit der Elektromobilität, und auch sonst war der E-Antrieb ein omnipräsentes Thema, wenngleich es auch diverse Vorträge im Bereich der (H2-)Verbrennertechnologie gab.
Nutzfahrzeuge werden EVs!
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Im Bereich der Nutzfahrzeuge war in Wien zumindest für MAN die Zukunft offensichtlich gesetzt, denn Dr. Frederik Zohm, Executive Board Member for R&D und CTO bei MAN Truck & Bus, zeigte sehr deutlich, wie sich der Business Case für die Fuhrunternehmer mit der Elektromobilität rechnet: „30 % der Kosten unserer Kunden sind Energiekosten“ – und das bei einem Lkw, der 100.000 bis 200.000 km pro Jahr auf den Straßen fährt. Dabei verbrauchen konventionelle Trucks zwischen 20 und 40 Liter Diesel pro 100 km, so dass die Trucks in Europa etwa 70 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent freisetzten, was in etwa den Emissionen von Österreich entspricht.
Ein Lkw-Batteriepack habe ungefähr den Kostenpunkt eines Motors, wobei je nach Ausstattung bis zu sechs Batteriepacks möglich sind, was dann für 600 bis 800 km (und bald 1000 km) Reichweite sorgt. Besonders bergige Strecken sind für E-Lkws attraktiv, weil Rekuperation die Batterien wieder auflädt. Als fast schon idealen Business Case für einen E-Lkw sieht Frederik Zohm die Strecke Innsbruck-Brenner-Bozen. Darüber hinaus könne schon eine 40-Minuten-Pause die Reichweite um 350 km erhöhen. Mit dem „Drive-by-Noise“, also den Fahrgeräuschen bringt Zohm einen weiteren Aspekt ins Spiel: Da ein E-Lkw beim Vorbeifahren etwa 10 dB leiser (und damit etwa halb so laut wie sein Verbrenner-Pendant) ist, dürfe er in Österreich zum Teil auch nachts fahren.
In punkto Ladezeiten sieht der MAN-CTO kein Problem, denn in Europa müsse die Person hinter dem Steuer nach 4,5 Stunden Fahrt sowieso eine halbe Stunde Pause machen, die sich gut fürs Laden nutzen lässt. Damit kann ein Lkw schon heute weiter fahren als die Lenkzeiten einer Schicht es zulassen. An einer Lösung für den Mehrschicht-Betrieb hat MAN gemeinsam mit der TU München an höheren Ladeleistungen geforscht. Jetzt sei das Unternehmen dabei, ein System mit einer Ladeleistung von 1 MW zu entwickeln. Derzeit treibt MAN gemeinsam mit dem FC Bayern München den Bau von Megawatt-Ladesäulen – 30 an der Zahl – auf dem Busparkplatz der Münchner Fußball-Arena voran, die direkt an einem Autobahnkreuz im Münchner Norden liegt. Wenn nicht gerade ein Fußballspiel stattfindet, lassen sich hier bis zu 500 elektrische Busse und Trucks pro Tag sehr schnell aufladen. „Die Energieaufnahme erfolgt zu 50 % im Depot“, führt der MAN-CTO weiter aus, so dass insbesondere die Depots mit Ladestationen ausgerüstet werden müssten, und „wir arbeiten daran, bidirektionales Laden möglich zu machen.“
MAN hat derzeit etwa 300 BEV-Lkw im Feld und wertet ständig entsprechende Daten aus. Frederik Zohm: „Wir bei MAN fahren eine BEV-First-but-not-only-Strategie.“ Bei den von Zohm zitierten Gesamt-Wirkungsgraden (Well-to-Wheel) von 75 % für BEVs und 25 % für Wasserstoffahrzeuge sowie 15 % bei E-Fuels ist diese Strategie fundiert untermauert. Nächstes Jahr wird MAN einen „dekarbonisierten Reisebus“ vorstellen, denn „in 60 % der Reisebus-Anwendungen könnten wir mit BEVs fahren“. Von den fehlenden Wasserstoff-Kapazitäten (sowohl Tankstellen als auch fehlende Produktionsmengen) war in Wien allerdings praktisch nie die Rede.
Die Fakten sprechen offensichtlich klar für die BEVs, aber wie ist das bei den Pkw, bei denen die Emotionen und diverse andere menschlichere Faktoren eine viel gewichtigere Rolle spielen?
Wie erreicht der Mercedes CLA über 750 km Reichweite bei nur 12 kWh Verbrauch?
Torsten Eder, Vice President Electrified Drive Systems bei Mercedes-Benz Cars, stellte in seiner Keynote in Wien unter anderem das Modell CLA vor, das mit seiner 800-V-Technologie und einem Energieverbrauch von 12 kWh/100 km eine WLTP-Reichweite von über 750 km erzielt. Mit der eingesetzten DC-Ladetechnik lässt sich binnen 10 Minuten wieder Energie für bis zu 300 km nachladen. Ein Ladevorgang von 10 auf 80 % soll in weniger als 22 Minuten vonstatten gehen. Dafür setzt der OEM sowohl im Inverter als auch im On-Board-Charger auf SiC-Technologie sowie auf ein modulares C2P-Batteriekonzept (Cell to Pack) mit nur wenigen Power-Stromschienen. Die Endkunden können zwischen zwei unterschiedlichen Batterie-Chemien auswählen, wobei die Top-Variante 85 kWh speichern kann, was auf Zellebene einer Energiedichte von etwa 680 Wh/l entspricht. Bei diesen NMC-Zellen kommen Kathoden mit hohem Nickelanteil sowie mit Siliziumoxid angereicherte Anoden zum Einsatz. Die bald als Standardvariante lieferbaren LFP-Zellen mit Lithium-Eisen-Phosphat-Kathoden werden dann 58 kWh speichern können, was einer Energiedichte von 450 Wh/l entspricht. „Wir haben die gravimetrische Energiedichte um 20 % erhöht und dabei die Kosten (auf Batterieebene) um 30 % reduziert“, führt Torsten Eder weiter aus. Beide Batterietypen hat Mercedes bis zur Zellen-DNA selbst definiert, und beide werden knapp unter 500 kg auf die Waage bringen.
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Weil die Fahrzeuge bei bis zu 3 m/s² bis zu 200 kW rekuperieren können, erhöht sich die Reichweite. Selbst während eines ABS-Eingriffs könne das System noch rekuperieren. Die Mercedes-Tochter AMG wird eine CLA-Variante mit Axialflussmotor anbieten, die Torsten Eder als den „V8 der elektrischen Ära, aber der V8 lebt weiter“ bezeichnet.
Batterielanglebigkeit, Rückspeisefunktionen und Effizienzsteigerung durch Siliziumkarbid
Von der Langlebigkeit seiner Batterien ist Mercedes derart überzeugt, dass auch nach acht Jahren oder 160.000 km noch mindestens 70 % der Batteriekapazität garantiert werden. In Zukunft sollen diese Fahrzeuge auch per V2H (Vehicle-to-Home) sowie V2G (Vehicle-to-Grid) Energie rückspeisen können. Das Unternehmen P3 (Bild 2) rechnet nach umfangreichen Untersuchungen damit, dass Fahrzeugbatterien über eine Fahrleistung von 300.000 km im Fahrzeug eingesetzt werden können, bevor sie den Geschäftsmodellen des „Second Life“ zugeführt werden.
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Bild 2: Auf dem Wiener Motorensymposium zeigte das Unternehmen P3 sehr deutlich, dass wir die Batterie mittlerweile sehr gut im Griff haben und durchaus eine Lebensdauer im Fahrzeug von über 300.000 km erzielen können, bevor dann ein attraktives Second-Life (und später das Recycling) anstehen.)(Bild: Alfred Vollmer (P3 am Wiener Motorensymposium 2025))
Auch Volkswagen setzt bei seiner neuen, intern APP350 genannten, Antriebseinheit auf Siliziumkarbid-Technologie im Inverter. Damit erhöht sich in dem 400-V-System nicht nur das Drehmoment von 310 Nm (Si) auf 350 Nm (SiC); auch der WLTP-Verbrauch sinkt gegenüber der im ID.4 verbauten Siliziumtechnologie um satte 36,3 %, was in Summe immerhin 40 km mehr Reichweite bringt. „Der Trend ist völlig klar“, erklärte Dr. Henning Wöhl-Bruhn, Leiter des Bereichs Leistungselektronik bei Volkswagen in seinem Wiener Vortrag. „Siliziumkarbid findet Einzug… GaN wird sicherlich auch kommen.“
Range-Extender als Übergangslösung für mehr Reichweite und Akzeptanz von E-Pkw
Das Umfeld hat sich geändert, sodass neue Fahrzeuge zunehmend als reines EV konzipiert sind. Allerdings wird als Zugeständnis an die Verbrennungsmotor-Branche und als „Übergangslösung“ wohl eine nicht unerhebliche Anzahl von Pkw noch mit einem Range-Extender ausgestattet sein – auch um den Kunden die Reichweitenangst zu nehmen. Zur IAA 2025 wird das EV mit Range-Extender wohl als die Neuheit schlechthin in den Publikumsmedien besprochen.
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EV-Plattform/Baukasten: Was ZF auf der IAA 2025 zeigt
Mit einem Rundumschlag in punkto Elektromobilität tritt ZF auf der IAA auf, denn das Unternehmen zeigt eine komplett neue E-Mobilitäts-Plattform namens Select, die aus mehreren Komponenten-Baukästen besteht – von dem em:Select genannten Elektromotor-Baukasten über den in:Select titulierten Inverter-Baukasten bis zum Konverter-Baukasten co:Select, den man besser als bidirektionalen On-Board-Charger-Baukasten bezeichnen könnte. Ergänzend kommen rd:Select mit speziell für EVs entwickelten Reduziergetrieben und die sw:Select genannte Software-Bibliothek hinzu. ZF geht im Rahmen eines ganzheitlichen Ansatzes an die Elektromobilität und schließt auch das Thermomanagement mit ein. Und wenn ZF eine derart umfassende Elektromobilitätslösung anbietet, dann haben sicherlich auch Bosch und andere Tier-1s interessante neue Lösungen in der Schublade (siehe Bild 3).
Bild 3: Die Präsentation von Volkswagen auf dem Wiener Motorensymposium zeigte sehr deutlich, dass die Inverter-Einheiten immer kompakter werden und durch die Nutzung von Wide-Bandgap-Halbleiter wie Siziliumkarbid immer höhere Wirkungsgrade erzielen.)(Bild: Alfred Vollmer (Volkswagen am Wiener Motorensymposium 2025))
Allerdings belässt es ZF nicht bei der Auswahl zwischen der bewährten Asynchronmaschine (ASM), PSM (permanenterregt) und den SESM-Konzepten (Separately Excited Synchronous Machine, fremderregte Synchronmaschine), wobei die SESMs ohne Magnete und damit ohne seltene Erden auskommen. Ganz neu ist eine I2SM (Inductively Excited Synchronous Motor) genannte Maschine, bei der das Magnetfeld des Rotors bei einer Schaltfrequenz von 150 kHz und einem Wirkungsgrad von 98 % mit bis zu 10 kW induktiv aus der ölgekühlten Achse eingekoppelt wird. Die I2SM kommt somit ebenfalls ohne Permanentmagnete aus. Gleichzeitig sorgt ein neues Wicklungskonzept mit extern produzierten, gesteckten Flyer-Wicklungen bei den I2SMs dafür, dass sich eine signifikant höhere Leistungsdichte beziehungsweise ein höherer Füllfaktor ergibt.
Bild 4: Das rechts sichtbare Range-Exter-System eRE+ von ZF ist ein Komplettsystem aus E-Motor, Inverter, intelligentem Getriebe und Aktuator, das eine Boost-Leistung von über 150 kW beziehungsweise 90 kW Generatorleistung liefert. Noch kompakter ist ein reiner Range Extender (links), der bis zu 150 kW elektrische Leistung bei 400 oder 800 V liefert.(Bild: Alfred Vollmer)
Inverter-OBC-Integration für höhere Effizienz und kompaktere Bauweise
Den Inverter verschmilzt ZF in einem nächsten Schritt gleich mit dem bidirektional arbeitenden On-Board-Charger (OBC), um die doch recht kostenintensiven Leistungshalbleiter (derzeit SiC, später einmal wohl auch GaN) sowohl während der Fahrt im Inverter-Modus als auch in geparktem Zustand im OBC-Modus zu verwenden. Aus diesem Grund ist die Motorspannung beim em:Select-Baukasten auf 800 V festgelegt, was dem Spannungslevel des schnellen DC-Ladens entspricht. Dieses Konzept spart auch viel Bauraum, zumal ZF dabei nicht auf Module setzt, sondern die Halbleiter-Dies selbst verbaut.
Bild 5: Der I2SM (Inductively Excited Synchronous Motor, induktiv erregter Synchronmotor) von ZF koppelt die für die Rotormagnetisierung notwendige Leistung mit bis zu 10 kW induktiv aus der ölgekühlten Achse heraus mit einem Wirkungsgrad von 98 % bei 150 kHz in den Rotor ein. Er benötigt keine Dichtungen und soll eine 90 mm geringere axiale Länge aufweisen als andere SESMs.(Bild: Alfred Vollmer)
Das System ist so ausgelegt, dass die Dies von vier verschiedenen Halbleiterherstellern kommen können. Bis an Stelle von SiC dann GaN-Leistungshalbleiter zum Einsatz kommen, wird es aus Gründen des Packagings und der lateralen Strukturen noch einige Zeit dauern. Immerhin sagt Dr. Otmar Scharrer, Entwicklungsleiter der ZF-Division Elektrifizierte Antriebstechnologien, dass GaN „eher 2028 oder gar 2030 im Inverter verbaut“ sein könnte.
Mit Thermomanagent 30 % mehr Reichweite
Mit dem jetzt ausentwickelten Thermomanagement-System TherMaS, das vor zwei Jahren erstmals in einer frühen Entwicklungsphase vorgestellt wurde, ergibt sich eine Gesamtlösung, denn „im Winter ist TherMaS wirklich der Game-Changer“, erklärt Scharrer. Unter Extrembedingungen könne so die Reichweite um bis zu 30 % steigen. Er erwartet auch bald die Zulassung für das „neue“ Kühlmittel Propan. Otmar Scharrer ist von der neuen EV-Lösung seines Unternehmens voll überzeugt: „Wir haben China Cost erreicht, und China Speed erreichen wir durch den Baukasten.“