Interview mit Jeremy McClain, Continental Autonomous Mobility

Wie Continental Software-Sicherheit neu denkt

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Im Interview gewährt Jeremy McClain von Continental Einblicke in eine Branche im Umbruch – und verrät, wie datenbasierte Entscheidungen, neue Partnerschaften und Sicherheitsdenken die Automobilwelt neu formen.
Im Interview gewährt Jeremy McClain von Continental Einblicke in eine Branche im Umbruch und verrät, wie datenbasierte Entscheidungen, neue Partnerschaften und Sicherheitsdenken die Automobilwelt neu formen.

Wie prägen datenbasierte Entscheidungen, neue Partnerschaftsmodelle und ein überarbeitetes Sicherheitsverständnis die Transformation im Umfeld softwaredefinierter Fahrzeuge? Antworten darauf gibt Jeremy McClain, Continental Autonomous Mobility, im Interview.

In der Autoindustrie geht es längst nicht mehr gemütlich zu. Tempo ist heute das Maß aller Dinge. Jeremy McClain, Global Vice President bei Continental Autonomous Mobility, skizziert im Interview am Rande des AUTOMOBIL-ELEKTRONIK Kongress 2025 eine Transformation, bei der Geschwindigkeit, Sicherheit und partnerschaftliches Denken gleichberechtigt nebeneinander existieren – oder scheitern.

Daten, Tempo und der Abschied vom Bauchgefühl

In einem Marktumfeld, in dem technologische Innovationszyklen immer kürzer werden, hat auch Continental seine internen Prozesse umgekrempelt. Entscheidungen müssen heute nicht nur schnell, sondern auch fundiert sein. Das klingt simpel, ist es aber nicht. Oder wie McClain es ausdrückt: „Wenn du schnelle Entscheidungen willst, brauchst du datengetriebene Entwicklung – alles andere ist Glücksspiel.“

Ein Beispiel ist das Projekt Aurora, eine Kooperation im Bereich autonomer Nutzfahrzeuge. Dabei entwickelt Continental gemeinsam mit Aurora Innovation ein skalierbares System für autonome Lkw, das ab 2027 in den USA auf die Straße kommen soll. Dabei liefert Continental Hardware, Sensorik und ein Rückfallsystem, das bei einem Ausfall des Primärsystems für eine sichere Weiterfahrt sorgt. Solche Großprojekte zwingen dazu, die eigenen Systeme auf gewaltige Datenmengen auszurichten, nicht nur technisch, sondern auch kulturell. Denn wer wissen will, was seine Systeme im Feld wirklich leisten (oder nicht leisten), muss bereit sein, sich mit unangenehmen Wahrheiten auseinanderzusetzen. Nur so lassen sich fundierte Entscheidungen treffen. Sei es bei der Frage „Make or Buy“, bei Architekturänderungen oder bei der Auswahl konkurrierender Technologien.

Partnerschaften mit System und Mut zum Scheitern

Wer glaubt, die Zukunft lasse sich allein bauen, hat laut McClain die Realität verpasst. „Vertikale Integration entlang der gesamten Kette ist heute illusorisch“, sagt er. Stattdessen braucht es neue Arten von Kooperationen und zwar nicht als Alibi, sondern als integralen Bestandteil der Entwicklungsstrategie.

Doch damit Partnerschaften funktionieren, braucht es einen Kulturwandel: Offenheit, Schnelligkeit, Fehlertoleranz. Wer Partner ins Boot holt, muss ihnen auch zutrauen, Dinge besser oder schneller zu machen als man selbst. Das setzt voraus, dass Unternehmen den eigenen Perfektionsanspruch relativieren und gleichzeitig lernen, mit Unsicherheit professionell umzugehen.

Save the date: 30. Automobil-Elektronik Kongress

Save the Date! Der AUTOMOBIL-ELEKTRONIK Kongress findet 2026 am 16. und 17. Juni statt.
Save the Date! Der AUTOMOBIL-ELEKTRONIK Kongress findet 2026 am 16. und 17. Juni statt.

Am 16. und 17. Juni 2026 findet zum 30. Mal der Internationale Automobil-Elektronik Kongress (AEK) statt. Dieser Netzwerkkongress ist bereits seit vielen Jahren der Treffpunkt für die Top-Entscheider der Elektro-/Elektronik-Branche und bringt nun zusätzlich die Automotive-Verantwortlichen und die relevanten High-Level-Manager der Tech-Industrie zusammen, um gemeinsam das ganzheitliche Kundenerlebnis zu ermöglichen, das für die Fahrzeuge der Zukunft benötigt wird. Trotz dieser stark zunehmenden Internationalisierung wird der Automobil-Elektronik Kongress von den Teilnehmern immer noch als eine Art "automobiles Familientreffen" bezeichnet.

Sichern Sie sich Ihr(e) Konferenzticket(s) für den 30. Automobil-Elektronik Kongress (AEK) im Jahr 2026! Folgen Sie außerdem dem LinkedIn-Kanal des AEK und #AEK_live.

Im Channel zum Automobil-Elektronik Kongress finden Sie Rück- und Vorberichterstattungen sowie relevanten Themen rund um die Veranstaltung.

Sicherheit bleibt DNA – aber neu gedacht

Mit Sicherheit ist nicht zu spaßen, schon gar nicht im automatisierten Fahren. McClain verweist auf seine eigene Historie: 23 Jahre Sicherheitsentwicklung bei Continental, die ihn geprägt haben. Und dennoch reicht Tradition allein nicht mehr. Der Übergang von assistiertem zu automatisiertem Fahren verlangt mehr als ein funktionierendes Lastenheft, nämlich eine tief verankerte Sicherheitskultur.

Continental setzt deshalb auf ein eigenes Safety Management System. Ein struktureller Ansatz, der bislang eher aus der Luftfahrt bekannt ist. Das Ziel: Sicherheit muss nicht nur technisch gewährleistet sein, sondern auch im Unternehmen gelebt werden. Mitarbeitende sollen sich trauen, Bedenken zu äußern. Gleichzeitig sieht Continental externe Auditierungen nicht als Pflichtübung, sondern als echtes Qualitätsmerkmal.

Redundanz spielt eine zentrale Rolle, nicht nur bei der Hardware, sondern auch zunehmend in der Softwareentwicklung. Partnerschaften ermöglichen es, Aufgaben parallel umzusetzen, was die Entwicklung beschleunigt und gleichzeitig die Ausfallsicherheit verbessert.

Das Software-defined Vehicle als Gamechanger

Mit der Transformation zum softwaredefinierten Fahrzeug (SDV) steht das klassische Tier-One-Modell unter Druck. McClain spricht es direkt an: „Wenn wir glauben, mit dem alten RFQ-Prozess (Anm. d. Red.: Request for Quotation) und 100.000 Anforderungen weiterzukommen, irren wir uns gewaltig.“ Der bisherige Entwicklungsansatz, der oft langwierig und auf Kostendrücken optimiert sowie wenig flexibel ist, passt schlicht nicht zu einer Fahrzeugarchitektur, die über den Lebenszyklus kontinuierlich weiterentwickelt wird.

Stattdessen braucht es neue Geschäftsmodelle, andere Verhandlungsformate und eine Neujustierung der Risikoverteilung. Denn Softwareentwicklung ist teuer, ihre Skalierung aber potenziell hochprofitabel. Wer bereit ist, in Innovation zu investieren, muss auch an deren Erträgen beteiligt werden. Nur so entsteht ein Ökosystem, in dem Tier-1-Unternehmen, OEMs und Technologiepartner gemeinsam Werte schaffen, statt nur über Margen zu feilschen.

Der Autor: Dr. Martin Large

Martin Large

Aus dem Schoß einer Lehrerfamilie entsprungen (Vater, Großvater, Bruder und Onkel), war es Martin Large schon immer ein Anliegen, Wissen an andere aufzubereiten und zu vermitteln. Ob in der Schule oder im (Biologie)-Studium, er versuchte immer, seine Mitmenschen mitzunehmen und ihr Leben angenehmer zu gestalten. Diese Leidenschaft kann er nun als Redakteur ausleben. Zudem kümmert er sich um die Themen SEO und alles was dazu gehört bei all-electronics.de.

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