Fast die Hälfte des Wertes eines Elektroautos macht dessen Batterie aus. Jede Möglichkeit den Stromspeicher besser und länger zu nutzen, bringt deshalb große Kostenvorteile. Leistung und Lebensdauer der Batterie sind allerdings abhängig von zahlreichen Faktoren, zum Beispiel der Häufigkeit, des Auf- und Entladens, der Art des Ladevorgangs, der Fahrweise sowie von äußeren Einflüssen wie der Temperatur. Auf diese Weise altert jede Lithium-Ionen-Batterie im Laufe ihres Einsatzes, sie verliert an Speicherkapazität. In einem Fahrzeug kommt der Akku üblicherweise nur dann zum Einsatz, wenn er noch mindestens 70 Prozent des Restkapazitätswertes besitzt. Ab dann erhöht sich das Risiko einer nichtlinearen Alterung. Der Innenwiderstand steigt, der Strom bricht deshalb kurzfristig ein und der Wagen bleibt womöglich liegen. Da es sich hier um eine reale Gefahr handelt, ist es nötig die teure Batterie frühzeitig auszutauschen.
Batteriebetriebsstrategie
Abhängig von der Betriebsstrategie, etwa den Stromraten für Ladung und Entladung, den State-of-Charge-Fenstern (SoC) beziehungsweise der Depth of Discharge (DoD), kann eine Batterie im schonenden Betrieb, auch im Rahmen stationärer Anwendungen, jedoch deutlich längere Lebenszeiten erreichen und lässt sich in niedrigeren Restkapazitäten betreiben.
Insgesamt muss daher ein Kernbaustein der Batteriebetriebsstrategie die Vermeidung von Alterungseffekten oder aber eine ökonomische Lebenszeitoptimierung unter Einbeziehung dieser Effekte sein. Probleme ergeben sich daraus, dass der aktuelle Stand der Technik die (Ent-) Ladeleistung abhängig von vordefinierten Labormodellen bestimmt, die aber nicht zwangsläufig den tatsächlichen Zustand widerspiegeln. Die optimalen Betriebsfenster von Batterien ändern sich fortlaufend, basierend auf der zyklischen und kalendarischen Alterung. Bestimmte System- und statistische Streuungseffekte sind jedoch in den initialen Modellen nicht abgebildet. Darüber hinaus kommen synthetische Zyklen, bestehend aus konstanten Lade- und Entladephasen, zum Einsatz, die keine realen Betriebsbedingungen widerspiegeln. Die Betriebsfenster sind also nicht spezifisch auf einzelne Batterien angepasst, eine verstärkte Alterung kann auftreten.
Zusammengefasst ist die Alterung von Batterien eine hochkomplexe Thematik, die von einer Vielzahl an Einflussfaktoren abhängt, welche sich ohnehin nur bedingt durch Modellierungen und Testreihen während der Entwicklungsphase abdecken lassen. Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass Wissenschaftler Alterungsmodelle in langwierigen und ressourcenintensiven Messreihen im Labor erstellen müssen. Dabei sind die Stressfaktoren (zum Beispiel Temperatur, Stromrate, (Ent-) Ladehub, mittlerer Ladezustand) in verschiedenen Verhältnissen zueinander zu prüfen, was zu einer sehr umfangreichen Testmatrix führt. Um den Kapazitäts- und Innenwiderstandsverlauf bis zum End of Life (EOL) abzubilden, ist außerdem eine Testdauer von mehreren Monaten oder sogar Jahren erforderlich (Bild 1). Eine Modellierung jeglicher Betriebsbereiche ist daher nur bedingt möglich.
Digitaler Zwilling
Eine mögliche Lösung für diesen Zielkonflikt ist ein digitaler Zwilling (Bild 2) der Batterie, wie ihn die Software von Twaice erstellt. Dieser stellt im Wesentlichen ein modellbasierendes Abbild der realen Fahrzeugbatterie in der Cloud dar, das kontinuierlich Daten aus der Anwendung zugeführt bekommt.
Bisherige Ansätze rund um Batteriezustandsanalysen sind entweder reine Visualisierungen von Batteriemesswerten, einfache Zustandsparameterschätzungen ohne Modellbezug im Fahrzeug oder reine Batteriezustandsmodelle im Entwicklungs- und Produktionsprozess. Die dabei zur Prognose verwendeten empirischen Alterungsmodelle bilden bestimmte System- und statistische Streuungseffekte nicht ab, weshalb sie über die Fahrzeugnutzung stetig ungenauer werden. Um diesem Effekt entgegenzuwirken, nutzt der digitale Zwilling sowohl Daten aus empirisch-analytischen als auch datenbasierenden Modellen. Erst die Kombination aus beiden Modellteilen ermöglicht die hohe Prädiktionsgenauigkeit. Während die Genauigkeit des einen Ansatzes im Lebenszyklus der Batterie stetig abnimmt, steigt die Modellgenauigkeit von datenbasierenden Modellen mit zunehmender Nutzungsdauer und Datenmenge an. Die hybride Softwarearchitektur kombiniert die komplementären Vorteile der beiden Modellierungsdomänen und ermöglicht auf diese Weise eine präzise Bestimmung und Vorhersage des Alterungszustandes der Batterie, und zwar über die ganze Nutzungsdauer hinweg.
Die Gründer von Twaice (Bild 3) haben die Grundlagen für ihre Software als Doktoranden an der TU München entwickelt. Der analytisch-empirische Teil ihres Modells ist im Vorfeld der Fahrzeugnutzung für jeden Batterietyp einmalig durch Labormessungen einzustellen. Der datenbasierende Modellteil nutzt die im Feld erfassten Fahrzeug-Flottendaten, um über Machine Learning und künstliche Intelligenz ein datenbasierendes Alterungsmodell zu generieren.
KI als Lösungsansatz
Künstliche Intelligenz stellt einen attraktiven Lösungsansatz zur Alterungsprädiktion von Batterien dar. Allerdings steht die benötigte Datengrundlage nicht von Beginn der Nutzung an zur Verfügung und die Algorithmen bilden bestimmte Alterungseffekte, die nicht in den Trainingsdaten auftreten, gegebenenfalls nicht korrekt ab. Darüber hinaus muss eine Validierung der Aussagen des datenbasierenden Ansatzes stattfinden. Aus diesem Grund ist die Kombination von empirischen Modellen, die von Beginn der Nutzungsdauer an validierte Analysedaten liefern sowie datenbasierende Machine-Learning-Algorithmen nutzen, den herkömmlichen Ansätzen überlegen.
Die Anwendung des Münchener Tech-Unternehmens macht einen genauen Einblick in die komplexen Prozesse möglich, die sich in einem Lithium-Ionen-Akku abspielen. Auch das künftige Alterungsverhalten für verschiedene Fahr- und Ladeszenarien lässt sich mit diesen Erkenntnissen prognostizieren und optimieren. Entwickler und Nutzer können sich darauf einstellen, um so eine deutlich bessere und längere Nutzung der Batterie zu erreichen.
Zum Beispiel altern voll aufgeladene Akkus bei besonders hohen Temperaturen schneller. Ist der Ladestand des Stromspeichers aber um nur wenige Prozentpunkte reduziert, schützt das die Batterie vor ungewolltem Verschleiß. Dieser optimale Zustand ändert sich jedoch entlang der Alterung und ist in jeder Batterie individuell mithilfe einer komplexen Analytik zu adaptieren. Das System lässt sich mithilfe des digitalen Zwillings entsprechend programmieren. Schnellladen, viele Ladezyklen, eine besonders agile Fahrweise und extreme Temperaturen bedeuten Stress für Akkus. Der digitale Zwilling erkennt solche Stressauslöser und macht Gegenstrategien rechtzeitig möglich. Eine vorzeitige Alterung lässt sich so vermeiden.
Akkus altern auch abhängig von der Art der Aufladung. So besteht beim unbedachten Laden eines Elektroautos (Bild 4) immer die Gefahr, dass die Batteriezellen dauerhaft an Leistung und Kapazität einbüßen. Der digitale Zwilling kann eine individuelle Ladekurve für jeden einzelnen Ladevorgang erstellen. Damit tankt die Batterie die jeweils optimale Leistung und schont gleichzeitig die Zellen. Gleiches gilt für das bidirektionale Laden. Hier speist der Fahrzeug-Akku überschüssigen Strom zurück ins Netz und stabilisiert es damit.
Geplante Ladevorgänge
Solche bewusst geplanten Ladevorgänge wären möglich, da die meisten Fahrzeuge über Nacht beim Nutzer zuhause am Stromnetz hängen. Dort lässt sich die Stromversorgung genau steuern – und zwar nach den Bedürfnissen der Batterie. Die Software ermöglicht es, das automobile Batteriesystem nahtlos in das heimische Ladesystem einzubinden. Aufgrund der Daten des digitalen Zwillings können Nutzer jederzeit die Ladestrategie unter Einbeziehung der optimalen Betriebsfenster wählen oder bewusst eine aggressivere Strategie nutzen. So ließe sich etwa auf Wunsch rascher mehr Reichweite erzielen.
Neben einer optimierten Nutzung von Batterien lassen sich mithilfe der neugewonnenen Datengrundlage auch Effizienzsteigerungen in der Entwicklung realisieren. Die Software von Twaice ermöglicht schnelle und akkurate Batterietests, mit denen sich Systeme bezüglich der Alterung, thermischen Entwicklung und sonstiger Schwachstellen validieren lassen. Eine häufig branchenübergreifend beobachtete Überdimensionierung von Batterien lässt sich vermeiden und die verfügbare Batterieleistung nachhaltig steigern.
Zwei Softwarekomponenten
Der digitale Zwilling und die zugrundeliegenden Algorithmen sind in der realen Anwendung in zwei Softwarekomponenten aufgeteilt: Die Embedded Software im Fahrzeug verarbeitet die umfangreichen Messdaten der Batterie vor und bestimmt deren aktuelle Kapazität sowie Impedanz. Die so aggregierten Daten lassen sich anschließend an die Cloud Software versenden, die den analytisch-empirischen Teil des digitalen Zwillings aktualisiert und die aggregierten Messdaten als Trainingsdaten für den datenbasierenden Modellteil nutzt. Somit ermöglicht die Implementierung in der Cloud sowohl Fleet Learning als auch die zentrale Prädiktion und Optimierung der Lebensdauerperformance jeder einzelnen Fahrzeugbatterie.
Hinter der Alterung von Batterien steht eine Vielzahl parallel ablaufender elektrochemischer und physikalischer Vorgänge. Ein typisches Li-Ionen-Batteriesystem besteht üblicherweise aus seriell (und parallel) verschalteten Modulen, die sich wiederum in Zellen aufteilen, die in Serien- und Parallelsträngen angeordnet sind. Bezüglich der Zellen ergeben sich verschiedene Varianten der Bauformen und Aktivmaterialien, die sich üblicherweise für die Typologisierung nutzen lassen. Ausschlaggebend ist dabei das Kathodenmaterial, wobei die wichtigsten Materialen Nickel-Mangan-Kobalt (NMC), Nickel-Kobalt-Aluminium (NCA) und Lithium-Eisenphosphat (LFP) sind. Für die Anode kommt in der Regel Graphit zum Einsatz. Darüber hinaus benötigt ein Batteriesystem zum ordnungsgemäßen Betrieb ein Batteriemanagementsystem (BMS).
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(aok)
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