Lars Reger, NXP, auf dem 26. Automobil-Kongress

Auf dem 26. Automobil-Elektronik Kongress stand das Software-defined Car im Zentrum. Welche Rolle Halbleiter dabei spielen erläuterten beispielsweise Lars Reger von NXP. (Bild: Matthias Baumgartner)

Als einen der Schüsseltrends in der Automobilindustrie bezeichnete Ricky Hudi, CEO von Future Mobility Technologies, in seiner Eröffnungsrede den Mangel an Chips und Transistoren, der die Branche seit mittlerweile zwei Jahren beutelt. Dabei werden Halbleiter in Zukunft für die Entwicklung von Autos noch wichtiger werden. Ihre Bedeutung wird schon aus einem einfachen und offensichtlichen Zusammenhang ersichtlich: Wenn das Auto der Zukunft software-definiert ist, dann ist die Hardware und damit die Halbleiter das Fundament für dieses Konzept, denn jede Software benötigt eine Hardware, auf der sie läuft. Früher war das ein aus heutiger Sicht vergleichsweise „schlichter“ Mikrocontroller, heute wird dafür ein komplexes System-on-Chip (SoC) benötigt, ein Halbleiterbaustein, der mehrere Prozessorkerne und maßgeschneiderte aufgabenspezifische Hardware-Beschleuniger umfasst. Allein in den letzten vier Jahren hat die Performance dieser zentral wichtigen Bauteile um den Faktor 50 zugenommen, wie Karsten Michels, Head of Productline HPC bei Continental Automotive, darlegte. Im gleichen Zeitraum stieg die Speicherausstattung der High-Performance-Computer im Auto um das 16-fache. Und die rasant wachsende Anzahl der verbauten Transistoren in den Rechnern trieb den Energiebedarf – allen Bemühungen der Halbleitertechnologen zur Entwicklung energieeffizienter Chips zum Trotz um den Faktor 25; heutige Domänen-Rechner nehmen gut und gerne bis zu 150 W auf.

Video-Rückblick auf den 26. Automobil-Elektronik Kongress

Dabei finden entscheidende Entwicklungen keineswegs nur in den HPC-SoCs statt. Dem allgemeinen Elektroniktrend zur Verlagerung von Intelligenz in die Peripherie folgend, kommen auf Mixed-Signal-Bausteinen im Kontext der Digitalisierung des Autos deutlich erhöhte Anforderungen zu: Sie müssen für die Funktionale Sicherheit ebenso wie für die Cyber-Security geradestehen – und sie müssen anpassungsfähig sein, falls sich während der Lebensdauer der Fahrzeuge der Bedarf nach Änderungen oder Erweiterungen ergeben sollte. Darauf wies Jan Dienstuhl, CSO des Halbleiterherstellers Elmos, in seinem Vortrag „Enabling the Edge: How do IC Solutions become safe, adaptable and secure“ hin. In den Sensor- und Aktuator-nahen Anwendungsgebieten sieht Dienstuhl über die kommenden Jahre den Einsatz von Halbleitern schneller wachsen als in den meisten anderen Bereichen des Fahrzeugs, nämlich um 30 Prozent. Zum Vergleich: Die Verwendung von Standalone-Mikrocontrollern wird dem Elmos-CSO, der auch für die Entwicklung verantwortlich ist, nur um 6 Prozent (nach Stückzahl) zunehmen, der Einsatz von Leistungsbauteilen um 29 Prozent. Lediglich bei den SoCs für die Domänen- und Zentralrechner sieht Dienstuhl ein noch höheres Wachstum, nämlich 150 Prozent.

Save the date: 28. Automobil-Elektronik Kongress

Am 18. und 19. Juni 2024 findet zum 28. Mal der Internationale Automobil-Elektronik Kongress (AEK) in Ludwigsburg statt. Dieser Netzwerkkongress ist bereits seit vielen Jahren der Treffpunkt für die Top-Entscheider der Elektro-/Elektronik-Branche und bringt nun zusätzlich die Automotive-Verantwortlichen und die relevanten High-Level-Manager der Tech-Industrie zusammen, um gemeinsam das ganzheitliche Kundenerlebnis zu ermöglichen, das für die Fahrzeuge der Zukunft benötigt wird. Trotz dieser stark zunehmenden Internationalisierung wird der Automobil-Elektronik Kongress von den Teilnehmern immer noch als eine Art "automobiles Familientreffen" bezeichnet.

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Treibende Faktoren für den Einsatz der Mixed-Signal-Chips sieht Dienstuhl im Power Management, in der sensornahen Datenvorverarbeitung, in den Treiberschaltungen für Motoren, Displays und LEDs sowie bei den System-Basis-Chips und Bus-Transceivern. Um einerseits die Entwicklungszyklen zu beschleunigen und andererseits beim fertigen und ausgelieferten Auto noch funktionale Erweiterungen und Korrekturen vornehmen zu können, werden diese Mixed-Signal-Bauteile mit einer eigenen Intelligenz in Gestalt integrierter Prozessorlogik ausgestattet. Dadurch wächst auch deren Softwarebestand. Vorteil: Wo bisher die mühselige Schaltungsintegration auf Hardwareebene den Schweiß der Entwickler forderte, wird zukünftig die enthaltene Software ein deutlich flexibleres Arbeiten ermöglichen.

Podiumsdiskussion zu Halbleitern im Automobil

Auch in der Podiumsdiskussion mit profilierten Branchenkennern unter Moderation von AUTOMOBIL-ELEKTRONIK-Chefredakteur Alfred Vollmer kam die Rede auf die Rolle der Chips für das Auto – und die Schwierigkeiten, sich mit ausreichenden Mengen einzudecken. Das Thema schlägt mittlerweile hohe Wellen auch weit außerhalb der Fachmedien. „Noch nie in meinem Berufsleben habe ich gesehen, dass sich so viele Medien auch außerhalb der Fachpresse mit diesem Thema beschäftigt haben,“ sagte Vollmer. „Jetzt wurde sogar die Politik in dieser Sache aktiv. War das nicht schon lange überfällig und warum?“ frage Vollmer die versammelten Experten und Expertinnen. „Das war es in der Tat“, bekräftigte Panel-Mitglied Magnus Östberg, seines Zeichens Chief Software Officer von Mercedes Benz: „Es zeigt, wie stark diese Branche von Halbleitern abhängig ist. Und jetzt haben die Regierungen angefangen, die Lage zu erkennen.“

Ist es sinnvoll und machbar, wenn sich mehrere Kunden zusammentun und ihre Chips in gemeinsamen Großbestellungen bei den Herstellern einkaufen? Bei dieser Frage war deutliche Skepsis unter den Panel-Teilnehmern zu bemerken – angefangen von der Frage der Transparenz bis hin zu kartellrechtlichen Bedenken. Nur Bosch hatte damit weniger Probleme; das Unternehmen stellt einen Großteil seiner Halbleiter selbst her. „Wir bündeln natürlich unsere Kapazitäten innerhalb des Unternehmens“, berichtete Jens Fabrowsky, Mitglied des Automotive-Bereichsvorstands bei Bosch. Wichtig dabei seien auf technischer Ebene Standards und Schnittstellen, auf organisatorischer Ebene das frühzeitige Anzeigen entsprechender Bedarfe.

Jens Fabrowsky (Bosch)
Jens Fabrowsky (Bosch, rechts im Bild): „Wichtig sind auf technischer Ebene Standards und Schnittstellen, auf organisatorischer Ebene das frühzeitige Anzeigen entsprechender Bedarfe.“ (Bild: Matthias Baumgartner)

Auch Lars Reger, Executive Vice President von NXP, ging in der Diskussion auf die Lieferkettenproblematik ein und wies darauf hin, dass die „lokalen Singularitäten“ dieser Lieferkette – wie etwa die Konzentration großer Teile der Chipfertigung in Taiwan – ein Problem darstellen. Seit dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine und mit dem Verlauf des Kriegs in der Ukraine sei jedoch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit deutlich gestiegen. „Viele Leute sind aufgewacht“, so Reger.

Vor allem zu Beginn der Halbleiterkrise war der Wettbewerb der Autobranche um die Fertigungskapazitäten der Chipindustrie augenfällig geworden. Es stellt sich daher die Frage, wie sich die jederzeitige Verfügbarkeit der begehrten Elektronikbauteile sicherstellen lässt. Die Antwort kam von Lars Reger, und sie darf wohl als Mahnung an die Kundschaft bei OEMs und Tier-One-Zulieferern interpretiert werden: „Sorgfältige Planung“ heißt für Lars Reger das Lösungswort, gepaart mit dem Hinweis, dass auch in den vor uns liegenden 15 Jahren der absolute Löwenanteil der ICs noch in Halbleitertechnologien „North of 20 Nanometer“ gefertigt werde – also in Geometrien von mehr als 20 nm, was die vielfach als Argument für die Lieferprobleme ins Feld geführte angebliche Abnehmerkonkurrenz zwischen Consumer-Elektronik und Auto-Wertschöpfungskette doch etwas relativiert.

Lars Reger (NXP)
Lars Reger (NXP) fordert alle Stakeholder zu sorgfältiger Planung auf. (Bild: Matthias Baumgartner)

Entwickeln Automotive-OEMs jetzt ihre Chips selbst?

Eine weitere Frage, die die Branche immer wieder umtreibt: Was ist dran an den regelmäßig auftauchenden Berichten/Gerüchten, dass dieser oder jener Autohersteller sich mit Plänen trage, seine Chips selbst zu bauen? Eine schwierige Frage, denn kein Autohersteller möchte sich gerne so tief ins Nähkästchen schauen lassen. Mercedes-Manager Östberg, der als einziger Vertreter der OEMs in dieser Runde saß, lavierte elegant um eine allzu ausführliche Antwort herum: Es gehe immer um die rechte Balance zwischen den Eigenschaften, etwa zwischen (elektrisch/elektronischer) Leistung und Computing Performance. Mercedes Benz werde jedenfalls kein Silizium-Produzent: „Wir ergründen, wie tief wir in das Thema einsteigen wollen“. Jens Fabrowsky hakte hier ein: „Die Fertigung von Halbleitern hat immer etwas mit Economies of Scale zu tun. Die Frage ist, ob ein OEM überhaupt diese riesigen Kosten stemmen kann, wenn es dabei nur um die Fahrzeuge einer einzigen Marke geht.“ Lars Reger wies ergänzend darauf hin, dass nicht einmal Tesla alle seine ICs selbst entwickelt, sondern lediglich einen KI-Beschleuniger: „Tatsächlich kauft Tesla 99 Prozent seiner Chips zu.“

Der Autor: Alfred Vollmer

Alfred Vollmer
(Bild: Hüthig)

Alfred Vollmer interessiert sich nicht nur für Technik per se in vielen Facetten und Einzelheiten sondern auch dafür, wie sich diese Technik im wirtschaftlich-gesellschaftlichen Rahmen sinnvoll anwenden, umsetzen und nutzen lässt. Der Dipl.-Ing. hat bereits während des Studiums der Elektrotechnik sein Faible fürs Schreiben entdeckt und ist mit über 30 Jahren Branchenerfahrung ein bestens vernetztes Urgestein der europäischen (Automobil-)Elektronik-Fachpresse. Er fragt gerne detailliert nach und lässt dabei auch die ökologischen Aspekte nicht aus. Mit vielen seiner (Elektrotechnik-)Prognosen lag er richtig, aber manchmal sorgten auch sehr spezifische Marktmechanismen dafür, dass es ganz anders kam…

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Die Autorin: Dr.-Ing. Nicole Ahner

Die Autorin: Dr. Nicole Ahner
(Bild: Hüthig)

Ihre Begeisterung für Physik und Materialentwicklung sorgte dafür, dass sie im Rahmen ihres Elektrotechnik-Studiums ihre wahre Berufung fand, die sie dann auch ins Zentrum ihres beruflichen Schaffens stellte: die Mikroelektronik und die Halbleiterfertigung. Nach Jahren in der Halbleiterforschung recherchiert und schreibt sie mittlerweile mit tiefem Fachwissen über elektronische Bauelemente. Ihre speziellen Interessen gelten Wide-Bandgap-Halbleitern, Batterien, den Technologien hinter der Elektromobilität, Themen aus der Materialforschung und Elektronik im Weltraum.

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