Um die Sicherheit der Batterien und den Schutz der Fahrgäste effektiv zu verbessern, setzen Hersteller in zwei Bereichen an: Zur Schadensprävention dienen z. B. Batteriemanagementsysteme, Abschaltmechanismen, Kühlvorrichtungen oder besonders robuste Gehäuse. Mindestens ebenso wichtig sind jedoch auch geeignete Schutzmaßnahmen für den Fall eingetretener Fehlfunktionen oder Schäden. Doch um entsprechende Schutzmaterialien gezielt entwickeln zu können, ist ein genaues Verständnis der Schadensereignisse erforderlich. Wesentliche Voraussetzung hierfür: ein wiederholbares Testverfahren, mit dem sich diese Belastungsfälle präzise und kontrolliert simulieren lassen. Ein solches Verfahren gab es bislang nicht. Das Von Roll Innovation Lab Automotive (VRILA) hatte es sich daher zur Aufgabe gemacht, diese Lücke zu schließen.
Cell Venting: Wenn Batterien ausgasen
Der entscheidende Vorgang beim Durchbrand von Batterien ist das sogenannte Cell Venting – also das potenziell brandgefährliche Ausgasen einer Batteriezelle. Ausgelöst wird dieses Ereignis durch die unkontrollierte Erhitzung der Zelle, dem Thermal-Runaway-Effekt. Die Ursachen dafür können sein: interne oder externe Kurzschlüsse, eine Überladung der Batterie, zu hohe Ströme beim Laden oder Entladen sowie die Deformation der Batterie, etwa in Folge eines Unfalls.
Besonders extrem ist dieses Ereignis in seiner Ausprägung als „Hard Venting“: Erhitzung, Volumen- und Druckanstieg in der Zelle sind dann so hoch, dass der ausschießende Gasstrom winzige Partikel aus dem Zellinneren mitreißt (z. B. Graphit, Kobalt, Nickel oder Kupfer). Der thermische Strom vermischt sich hier also mit einem abrasiven Partikelstrom, der – wie etwa beim Sandstrahlen – mit hohem Druck ausgeschossen wird. Kommt es dabei zum Kontakt mit einer Zündquelle (z. B. mit Funken im Falle eines Kurzschlusses) kann es zur Entflammung kommen. Und da die Zellen sehr eng nebeneinander verbaut sind, kann sich dieses Ereignis auch auf benachbarte Batteriezellen ausbreiten. Diese Thermal Propagation ist für Batterien der Super-Gau.
Im Vorfeld: Abuse-Tests zur Datenermittlung
Um mögliche Schutzmaßnahmen belastbar testen zu können, benötigen Entwickler Verfahren, mit denen sich realistische Schadensbilder simulieren lassen. Normierte Prüfmethoden für diese Belastungsfälle existieren aktuell noch nicht. Herkömmlicherweise greifen Entwickler daher auf sogenannte Abuse-Tests zurück. Ein gezielt in die Zelle eingeführter Nagel löst dabei die chemische Reaktion aus, die dann zur unkontrollierten Erwärmung bzw. zur Explosion führt. Auch das VRILA setzt diese Nageltests ein, um zu untersuchen, welche Von Roll Isolationsmaterialien den besten thermischen Schutz bieten.
Das Problem dabei: Die Heftigkeit des Cell-Venting-Events fällt bei jedem Versuch unterschiedlich stark aus. Auch die Testparameter sind nur schwer zu kontrollieren. Zudem ist der Versuchsaufbau sehr kostenintensiv und erfordert eine mehrwöchige Vorplanung. Darüber hinaus werden die Batteriezellen zerstört. So entsteht Sondermüll, der aufwendig entsorgt werden muss und die Umwelt belastet. Dennoch lassen sich diese Tests nutzen, um wesentliche Daten für die Entwicklung eines neuen, deutlich belastbareren Verfahrens zu gewinnen. Zu diesem Zweck entwickelte das VRILA das Design der Abuse-Tests weiter. Ein speziell entwickeltes Modulgehäuse diente dabei dafür, der tatsächlichen Einbausituation einer Traktionsbatterie möglichst nahezukommen.
Darüber hinaus wurde der Versuchsaufbau mit einer Videokamera, einer Wärmebildkamera, zahlreichen Wärmesensoren und einem Druckaufnehmer versehen. Denn weder Wärmebildaufnahmen noch Druckverläufe von Abuse-Tests sind bislang öffentlich verfügbar. Auf diese Weise ließ sich nun eine ganze Reihe von Charakteristiken ermitteln: das Materialverhalten der Von-Roll-Schutzmaterialien, die im Batteriegehäuse zum Einsatz kommen, die Temperaturentwicklung inner- und außerhalb der Zelle, der Druckaufbau in der Zelle und das allgemeine Verhalten sowie die Menge der abrasiven Partikellast.
Die Auswertung dieser weiterentwickelten Abuse-Tests zeigte nun zum einen: Die Von Roll Shields T 18 mit 1 mm Dicke halten der extremen Belastung durch Flamme und abrasive Partikellast stand. Das Material wies keinerlei Deformation auf. Lediglich ein minimaler Aufbau des abrasiven Zellmaterials war erkennbar. Damit stand dem Labor nun eine gut verstandene Kontrollprobe für die Entwicklung eines neuen Testverfahrens zur Verfügung. Die Tests zeigten aber auch, welche Parameter abgeleitet werden mussten, um das Schadensereignis simulieren zu können. Für die in den Tests verwendete, typische Fahrzeugbatteriezelle ergab die statistische Auswertung einer Vielzahl von Temperaturdaten, Druckverläufen, Video- und Wärmebildaufnahmen: Flammtemperaturen von 800 °C bis 1000 °C, ein maximales Stressintervall im Zeitraum von 20 bis 50 s nach dem Nageleintritt sowie eine abrasive Partikellast mit rund 600 g Ladungsmenge und 5 bis 15 g/s Durchflussmenge bei einem Ladungsdruck von 2 bis 6 bar. Durch die optische Beurteilung ließen sich zudem typische Schadensbilder an den Prüfmaterialien charakterisieren.
Auf dieser Datenbasis war das VRILA nun in der Lage, ein kontrollierbares, reproduzierbares und deutlich verlässlicheres Testverfahren zu entwickeln.
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Entwicklung des neuen Testdesigns
Die grundlegende Entscheidung dabei war: Um das Verfahren möglichst flexibel und effizient zu gestalten, sollte nicht die Batteriezelle selbst, sondern ausschließlich der heiße Partikelstrom simuliert werden. In einem ersten Schritt ermittelte das Labor daher die optimale Charakteristik der Flamme. Die Wahl fiel hier auf ein Acetylen-Sauerstoffgemisch. Denn im Gegensatz zu einer Propanflamme lässt sich eine Acetylen-Sauerstoff-Flamme deutlich stärker bündeln – und die thermische Energie lässt sich präziser auf den Prüfkörper richten. Die Flammtemperatur ist dabei kontrolliert und variabel auf bis zu 2250 °C einstellbar. Zum Vergleich: Die Temperaturen, die in den Abuse-Tests mit typischen Fahrzeugbatteriezellen ermittelt wurden, lagen bei max. 900 °C.
Ebenso entscheidend: die Auswahl des geeigneten Strahlguts. Deutlich bessere Eigenschaften als Eisenpulver bietet das Aluminiumoxid „Edelkorund“ mit einem höheren Schmelzpunkt bei über 2000 °C. Wird dieses allerdings nach dem Prinzip eines Pulverschweißgeräts von oben in die Sauerstoffleitung eingebracht und zusammen mit dem Acetylen auf den Prüfkörper gerichtet, dann kommt es – statt zu einer Zerstörung des Prüfkörpers – lediglich zu einer Ablagerung des Materials auf seiner Oberfläche.
Die Lösung des VRILA: Das Strahlgut wird mit einer separaten Sandstrahlvorrichtung parallel zur Flamme auf den Prüfkörper geschossen. Ein zusätzlich angebrachter Trichter sorgt dabei dafür, dass sowohl die thermische Energie als auch die Energie des Strahlmaterials gebündelt auf der Oberfläche auftreffen. Wesentlicher Vorteil des Konzepts: Der Druck für den Partikelstrom ist somit unabhängig von Sauerstoff und Acetylen einstellbar. Je nach Anforderung lässt sich dabei auch unterschiedliches Strahlgut einsetzen. Und sowohl Durchflussmengen als auch Korngrößen sind frei definierbar. Der finale Testaufbau besteht nun aus einem Brenner, mit dem sich der Gasaustritt schnell starten und stoppen lässt, einer Sandstrahldüse mit Druckregler und Kugelhahn, dem bereits erwähnten Trichter, einer Halterung für den Prüfkörper und einem Thermologger zur Aufnahme der Temperatur auf dessen Rückseite. Im Vergleich zu den Abuse-Tests werden hier also nicht zuletzt auch deutlich weniger Sensoren benötigt.
Der Teststand im Einsatz
In einem letzten Schritt ging es nun darum, verschiedene Schutzmaterialien mit dem neuen Prüfaufbau zu testen. Das VRILA entschied sich für ausgewählte Von-Roll-Produkte, da hier der beste Kenntnisstand hinsichtlich der Materialeigenschaften und den Schadensbildern aus den Abuse-Tests vorlag. Um statistische Sicherheit zu schaffen, wurden je Prüfmaterial mehrere Testdurchläufe durchgeführt. Im Vorfeld der Tests wurde dafür der Ausgangszustand der Prüfkörper aufgenommen. Danach wurde der erste Prüfkörper in die Halterung geschoben und die Kameraaufnahme gestartet. Flammtemperatur, die Drücke von Sauerstoff und Acetylen, Druck und Durchflussmenge des abrasiven Materials sowie weitere Parameter simulieren dabei das Cell Venting einer wie in den Abuse-Tests verwendeten, typischen Fahrzeugbatteriezelle mit 348 Wh und NMC-622-Chemie.
Anschließend wurde die Bestrahlung durch den Partikelstrom aktiviert, das Gas entzündet und die Ablaufzeit mithilfe einer Stoppuhr dokumentiert. Bestrahlung und Beflammung wurden dabei so lange aufrechterhalten, bis ein Durchbrand entstand. War dieser eingetreten, wurde der Test beendet und die Durchbrandzeit dokumentiert. Nachdem schließlich alle Prüfkörper den Test durchlaufen hatten, wurden die Ergebnisse ausgewertet, Detailaufnahmen von den Prüfkörpern gemacht und ein Report erstellt. Generell ist es jedoch ebenfalls möglich, den Vorgang zwischenzeitlich zu stoppen und das Material je nach Belastungsdauer zu analysieren.
Das Resultat: Aus den vorangegangenen Abuse-Tests ließ sich bereits ableiten, dass der erste Cell-Venting-Peak nach dem Nageleintritt durchschnittlich 35 s andauert. Von-Roll-Materialien hielten dieser Maximalbelastung zum Teil deutlich länger stand. Die glimmerbasierten Shields T 18 mit 1 mm Dicke erreichten sogar über 100 s. Damit eignen sie sich nachweisbar als Durchbrandschutz für Decken von Lithium-Ionen-Batterien in E-Autos.
Fazit und Ausblick
Mit dem neuen, reproduzierbaren und kontrollierbaren Testaufbau bietet das VRILA Herstellern nun eine Lösung, die es ermöglicht, Batterieschutzsysteme gezielt und bedarfsgerecht zu entwickeln. Denn der Teststand zeigt nicht nur, ob ein Durchbrandschutz hält, sondern auch wie lange und unter welchen Bedingungen. Neue Konzepte lassen sich damit sehr zeitnah bewerten und mit Referenzmaterialien vergleichen.
Die Methode ist dabei nicht nur deutlich kostengünstiger als die aufwendigen Abuse-Tests: Da der Cell-Venting-Vorgang zeitsparend im Labor simuliert werden kann, beschleunigt sie auch die Produktentwicklung. Das variable Testdesign ermöglicht es zudem, auch seltene, extreme Effekte und neue Batterielösungen zu simulieren. So sind Entwickler in der Lage, sich flexibel und schnell auf künftige Anforderungen einzustellen.
Das neue Verfahren ist deutlich umweltfreundlicher als die Abuse-Tests. Denn es kommt weder zu einer Rauchgasentwicklung noch müssen die Problemabfälle der zerstörten Batteriezellen entsorgt werden. Insgesamt stellt das VRILA der Automobilindustrie damit einen weiteren Baustein zur Verfügung, um die Sicherheit von Elek-troautos zu erhöhen – und die Akzeptanz der Elektromobilität in der Bevölkerung zu steigern.
Autoren
Tobias Marxt ist Mess- und Prüftechniker am Von Roll Innovation Lab.
Christian Stöveken ist Leiter des Von Roll Innovation Lab Automotive.
Schwerpunktthema: E-Mobility
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