
Quantencomputer versprechen, komplexe Probleme schneller und effizienter zu lösen als klassische Rechner. Simon Fried von Classiq erklärt, wie Software-Plattformen die Entwicklung von Quantenalgorithmen vereinfachen und welche Herausforderungen es auf dem Weg zur breiten Anwendung noch zu bewältigen gilt. Dabei stehen Anwendungen in der Industrie und der Aufbau eines globalen Quanten-Ökosystems im Mittelpunkt. (Bild: Dalle 3 / OpenAI)
Quantencomputing gilt als eine der bahnbrechendsten Technologien unserer Zeit, mit dem Potenzial, Bereiche wie Materialwissenschaften, Logistik, Finanzen und vieles mehr zu revolutionieren. Doch wie weit ist diese Technologie wirklich? Und was braucht es, um sie aus den Labors in die industrielle Praxis zu bringen? Simon Fried, Vizepräsident für Business Development und Marketing bei Classiq, gibt Einblicke in die Welt der Quantencomputer und deren Entwicklung. Mit über 20 Jahren Erfahrung in Strategie und Geschäftsentwicklung treibt er die Nutzung von Quantencomputern mit Softwarelösungen voran.
Im Gespräch beleuchtet Fried nicht nur die Grundlagen von Quantenalgorithmen, sondern erklärt auch, wie Software-Plattformen die Programmierung von Quantencomputern für Unternehmen und Forschung zugänglicher machen. Von realen Anwendungsbeispielen in der Automobilindustrie und Luftfahrt bis hin zu den Herausforderungen beim Zusammenspiel von Hardware und Software gibt er praxisnahe Einblicke und beantwortet folgende Fragen: Wie gelingt es, Quantencomputer zu kommerzialisieren? Welche Branchen profitieren bereits heute von dieser Technologie? Und warum ist die Entwicklung eines globalen Quantencomputing-Ökosystems entscheidend für den Erfolg?
Herr Fried, was sind Quantenalgorithmen und warum brauchen wir sie?
Simon Fried: Quantencomputer können viele mögliche Lösungen parallel untersuchen und bestimmte Probleme potenziell exponentiell schneller lösen als klassische Computer. Ein Quantenalgorithmus ist ein schrittweises Verfahren, das für die Ausführung auf einem Quantencomputer entwickelt wurde. Im Gegensatz zu klassischen Algorithmen, die deterministisch arbeiten, lösen Quantenalgorithmen Probleme auf probabilistische Weise: Bei der Ausführung eines Quantenalgorithmus werden die Qubits gemessen, und das Ergebnis ist dann probabilistisch – die Ausgabe hat also eine gewisse Wahrscheinlichkeit, die richtige Lösung zu sein.
Wie helfen Plattformen wie Classiq im Vergleich zur herkömmlichen Entwicklung von Quantenalgorithmen?
Mit Classiq können Quantenentwickler Quantencomputer einfacher programmieren. So wie das Aufkommen höherer Programmiersprachen die klassische Datenverarbeitung weiterentwickelt hat, durchläuft auch das Quantencomputing eine ähnliche Entwicklung. Bei frühen Quantencomputern mussten Entwickler auf einer niedrigen, hardware-spezifischen Ebene arbeiten, was tiefgreifende Fachkenntnisse erforderte. Plattformen wie Classiq schaffen jedoch Abstraktionsebenen, die es mehr Anwendern ermöglichen, Quantentechnologie zu nutzen. Je abstrakter und benutzerfreundlicher die Software wird, desto größer ist das Potenzial für anspruchsvollere Quantenanwendungen. Diese verbesserte Zugänglichkeit bedeutet, dass Quantencomputer sich für eine breitere Palette von realen Problemstellungen nutzen lassen. Das wiederum verkürzt den Weg zu praktischen Vorteilen von Quantencomputern.

Diese verbesserte Zugänglichkeit verkürzt den Weg zu praktischen Vorteilen von Quantencomputern.
Über den Interviewpartner
Simon Fried, Vizepräsident für Business Development & Marketing bei Classiq, leitet die Geschäftsentwicklung und das Marketing bei Classiq und treibt die Implementierung von Quantencomputer-Softwarelösungen voran. Mit über 20 Jahren Erfahrung in den Bereichen Geschäftsentwicklung, Marketing und Strategie positioniert er die Classiq-Plattform als Tool für die Synthese, Optimierung und Ausführung von Quantenschaltungen.
Können Sie konkrete Anwendungsfälle nennen, bei denen die Plattform von Classiq erfolgreich eingesetzt wurde? Welche Herausforderungen konnten dabei gelöst werden?
Classiq wird von Studierenden, Forschern und Branchenexperten gleichermaßen genutzt. Diese Gruppen definieren Erfolg auf unterschiedliche Weise: Studierende sind besonders durch die Zugänglichkeit motiviert, während andere Nutzer die Raffinesse der Umsetzung schätzen, die mit unserer Plattform erreicht werden kann.
Ein konkretes Beispiel: Unsere Zusammenarbeit mit Rolls-Royce und NVIDIA bei der Entwicklung von Düsentriebwerken hat zu einem der bislang größten Quantenprogramme geführt. Damit konnten wir einen wichtigen Schritt in Richtung besserer Simulationen machen. Ein weiteres Projekt, das wir mit der BMW Group durchgeführt haben, konzentrierte sich darauf, Komponenten in Autos effektiver zu platzieren.
Quantentechnologie kann auch im Verbund mit herkömmlichen Supercomputern funktionieren. In Zusammenarbeit mit Hewlett Packard Enterprise haben wir hybride Ansätze entwickelt, die potenziell besser sind als jeder Ansatz für sich allein.
Was gehört für Sie alles zu einem Quantencomputing-Ökosystem?
Um ein robustes Quantencomputer-Ökosystems zu schaffen, braucht es einen vierstufigen Ansatz.
- Der Zugang zu Quantenhardware ist dabei eine Grundvoraussetzung. Auch lokale Forschungs- und kommerzielle Cloud-Optionen können hier zuträglich sein. Darüber hinaus gibt es viele unterschiedliche Arten von Quantencomputern, die es zu berücksichtigen und zu erforschen gilt – ein frühzeitiger Lock-In ist hier strategisch kaum sinnvoll.
- Ebenso wichtig ist die Verfügbarkeit eines vollständigen Quantensoftware-Stacks, der sowohl dazu anregt, zu experimentieren, also auch flexibel für sich wandelnde Bedingungen ist. Je abstrakter die Software ist, desto zugänglicher wird sie und desto einfacher ist sie für Fachleute ohne Quantenexpertise zu bedienen.
- Außerdem braucht es eine umfassende Bildungsstrategie, die sowohl akademische Exzellenz fördert als auch talentierte Arbeitskräfte hervorbringt. Dieser zweigleisige Weg sichert das kontinuierliche Wachstum des Sektors auf lange Sicht.
- Die Koordination der synergetischen Zusammenarbeit dieser wesentlichen Komponenten ist von größter Bedeutung. Die eigentliche Herausforderung besteht allerdings darin, alle Einzelteile miteinander in Einklang zu bringen.
Einführung in die Entwicklung von Quantenalgorithmen mit Eden Schirman
Welche Voraussetzungen braucht ein solches Ökosystem, um langfristig innovativ und erfolgreich zu sein?
Gerade in der aktuellen frühen Phase des Quanten-Zeitalters ist die Unterstützung durch Regierungen, staatliche Institutionen und Marktführer maßgeblich. Sie bieten Anreize in Form von Infrastruktur, Zuschüssen und praktischen Anwendungen, die weitere Innovationen vorantreiben. Dadurch entsteht das entscheidende Momentum, um das Quanten-Ökosystem nachhaltig produktiv zu halten.
Was können und müssen KMUs und Start-Ups in einem solchen Ökosystem leisten?
Der Aufbau eines Quanten-Ökosystems bringt zahlreiche Veränderungen und damit auch Risiken mit sich. KMU und Start-Ups streben in der Regel danach, durch Partnerschaften untereinander ihre Kräfte zu bündeln und gemeinsam stärker zu werden. Noch wichtiger ist jedoch, dass sie auch Kollaborationen mit größeren Unternehmen eingehen und an Regierungsprojekten teilnehmen. Diese Zusammenarbeit ermöglicht es ihnen, ihre Ressourcen effektiv zu nutzen, ihre Innovationen marktgerecht auszurichten und einen positiven Innovationszyklus zu schaffen. Dieser Zyklus ist wiederum entscheidend für KMUs und Start-Ups, um zu einem festen Bestandteil eines Quantenökosystems zu werden.
Wie funktioniert ihre Zusammenarbeit mit Forschungsinstituten und etablierten Konzernen?
Es gibt viele Beispiele für eine solche erfolgreiche Zusammenarbeit. Start-Ups im Bereich Quantencomputing arbeiten häufig mit größeren Unternehmen an gemeinsamen Forschungsprojekten, an Proof-of-Concepts und an branchenweiten Projekten. Oft spielt die EU dabei eine koordinierende Rolle. Regionale Regierungen können sich wiederum lokal relevante Ziele setzen: etwa das Automobildesign oder die Verbesserung von Energienetzen. Unternehmen können außerdem industrieorientierte Doktorarbeiten fördern, um Brücken zum akademischen Forschungspool zu schlagen. Deutschland ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich Unternehmen in Quanten-Kooperationsgruppen organisieren können.
Wo liegen die Herausforderungen beim Zusammenspiel aus Hardware und Software für Quantencomputer?
Der Betrieb von Quantenhardware mit intuitiver, benutzerfreundlicher Software ist eine große Herausforderung. Die für die Verwaltung von Qubits erforderliche Low-Level-Steuerung ist unverzichtbar. Diese muss jedoch abstrahiert werden, damit sich Programmierer auf High-Level-Algorithmen konzentrieren können, anstatt sich mit den Feinheiten der physischen Hardware zu beschäftigen.
Die Software muss mit dem rasanten Innovationstempo in diesem Bereich Schritt halten und sich zusammen mit der Hardware weiterentwickeln, die wiederum oft ganz verschiedene Ansätze verwendet. Diese Aufgabe erfordert nicht nur Koordination und Anpassungsfähigkeit, sondern auch, dass die nachhaltige Kompatibilität gewährleistet ist.
Zusätzlich wird diese Herausforderung durch den Engpass an Fachwissen im Bereich Quantencomputing noch verstärkt.
Was braucht es für die Integration und Kommerzialisierung von Quantencomputern?
Der Zugang ist derzeit nicht die größte Herausforderung. Die Quantenindustrie hat hier große Fortschritte gemacht, indem sie Quantencomputerressourcen über die Cloud anbietet. Unternehmen wie Amazon, IBM, Microsoft, Google und auch kleinere Firmen ermöglichen es Forschern, Quantencomputer flexibel zu nutzen. Ebenfalls tragen viele fortschrittliche Simulatoren wie z. B. die von NVIDIA dazu bei, Quantenberechnungen nicht nur zugänglicher, sondern auch erschwinglicher zu machen.
Was hingegen mehr Aufmerksamkeit erfordert, ist weitere Forschung und Entwicklung mit dem Fokus auf Algorithmen, die eng mit dem verwendeten Quantencomputertyp verbunden sein kann. Während sich Quantencomputer weiterentwickeln, werden sie zwar immer leistungsfähiger, gleichzeitig steigt damit allerdings auch der Bedarf an Forschung zur Fehlerminimierung und Fehlerkorrektur.
Letztendlich ist Quantencomputing „nur“ eine neue Form der Datenverarbeitung und wird sich neben den heutigen Supercomputern etablieren, wobei die jeweiligen Vorteile ineinandergreifen. Durchsetzen wird sich daher eine Kombination verschiedener Arten von Hochleistungsrechnern, um möglichst schnelle und kostengünstige Berechnungen durchzuführen.
Wie wird sich Ihrer Meinung nach die kommerzielle Verfügbarkeit von Quantencomputern in den nächsten fünf Jahren entwickeln?
Aufgrund der aktuellen Trends können wir davon ausgehen, dass die Entwicklung von Quantencomputer weiterhin schnell voranschreiten wird. Die Anzahl der Qubits wird sich weiter erhöhen – absehbar auf Tausende pro Computer. Damit einher geht der wachsende Bedarf an einer effektiveren Verwaltung von Qubits, die inhärent instabil und nur schwer zu kontrollieren sind.
Einige Modalitäten wie photonische, neutrale Atom- oder Cat-Qubits müssen noch in dem Maße kommerzialisiert werden, wie es bei supraleitenden oder Ionenfallen-Systemen schon der Fall ist. Mit ihnen erweitert sich das Quanten-Toolkit um spannende, neue Alternativen.
Mit dieser zunehmenden Leistung werden die Systeme in der Lage sein, immer größere Probleme zu bewältigen, was das Interesse an der Quantenforschung wahrscheinlich weiter befeuern wird. Derzeit scheinen die Bereiche Finanzen, Materialwissenschaften und das Ingenieurwesen die Spitzenreiter für die kurzfristigen Vorteile des Quantencomputings zu sein. Aber wie bei jeder sich schnell verändernden Technologie ist hier nichts in Stein gemeißelt. Der beste Weg, damit umzugehen, ist, sich zu engagieren, sich vorzubereiten und für zukünftige Entwicklungen gerüstet zu sein.
Der Autor: Dr. Martin Large

Aus dem Schoß einer Lehrerfamilie entsprungen (Vater, Großvater, Bruder und Onkel), war es Martin Large schon immer ein Anliegen, Wissen an andere aufzubereiten und zu vermitteln. Ob in der Schule oder im (Biologie)-Studium, er versuchte immer, seine Mitmenschen mitzunehmen und ihr Leben angenehmer zu gestalten. Diese Leidenschaft kann er nun als Redakteur ausleben. Zudem kümmert er sich um die Themen SEO und alles was dazu gehört bei all-electronics.de.