Früherkennung in der THT-Löttechnik

Kosten und Entwicklungszeiten sparen

Mit modellbasierter Analyse sind Lötprobleme in der THT-Fertigung bereits im Design erkennbar. So lassen sich teure Redesigns vermeiden, Kosten senken und Entwicklungszyklen stabilisieren.

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Hoher Termindruck bei gleichzeitig hoher Fertigungsqualität ist im Mobilitätssektor Alltag. Besonders der THT-Lötprozess wird dabei häufig zum Engpass: Er verursacht Mehrkosten, erfordert Nacharbeit und gefährdet die termingerechte Produktion. Design-Rule-Checks greifen oft zu kurz – versteckte Risiken zeigen sich erst in der Fertigung.

Die Scheidt & Bachmann-Gruppe aus Mönchengladbach bietet innovative Systemlösungen für Mobilität an. Ihre Produkte halten weltweit Menschen und Güter in Bewegung. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, setzt das Unternehmen konsequent auf moderne Technologien – mit dem Ziel, Entwicklung und Fertigung schneller, effizienter und robuster zu gestalten. Der THT-Lötprozess stellt dabei eine besondere Herausforderung dar: Er führt zu Redesigns, Qualitätsproblemen und hohen Kosten. „Design-Guidelines greifen oft zu kurz und versteckte Risiken in Leiterplattendesigns zeigen sich häufig erst in der Fertigung durch schlechte Lötbarkeit der THT-Lötstellen – wenn es bereits zu spät ist. Das kostet viel Geld und Nerven in der Produktrealisierung“, so Christian Wipprecht, Bereichsleiter für Elektronikfertigung bei Scheidt & Bachmann.

Die sichtbaren Folgen schlecht lötbarer THT-Lötstellen sind Qualitätsprobleme, Materialverschwendung und Verzögerungen bis kurz vor SOP (Start of Production). Jede zusätzliche Design-Iteration kostet Wochen und bindet Ressourcen. Daneben gibt es unsichtbare Kosten und Risiken:

Versteckte Kosten: Wiederholte Redesigns und Musterläufe treiben zunächst die Entwicklungs-, später die Fertigungskosten in die Höhe – mit spürbaren Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit.

Unsichtbare Risiken: Anders als bei SMT fehlen im THT-Bereich objektive, datenbasierte Bewertungsmethoden. Die Lötbarkeit wird oft erst in der Nullserie oder im Serienanlauf sichtbar – mit teuren Folgen.

Komplexität & Unsicherheit: Die multiphysikalischen Einflüsse im THT-Lötprozess erschweren belastbare Fertigbarkeitsentscheidungen. Entwickler müssen sich auf Bauchgefühl und grobe Richtlinien stützen – das führt zu Sicherheitsaufschlägen, Nacharbeit und Ausschuss.

Wie Lötprobleme bereits im Design durch neue Modellierungsverfahren aus jahrelanger THT-Forschung identifiziert werden können, zeigt ein Industriebeispiel.

Grundproblem: DfM-Regeln reichen nicht aus

Bild 1: DfM-Regelkonformität und tatsächliche Lötbarkeit können auseinanderfallen – versteckte Risiken werden so leicht übersehen.

Sich allein auf Design-Rule-Checks und regelbasierte Design for Manufacturing (DfM) zu verlassen, ist riskant. Der Lötprozess ist physikalisch komplexer, als sich mit Regeln abbilden lässt – das zeigen unter anderem große Forschungsstudien. „Lötbar“ vs. „nicht lötbar“ ist keine binäre Entscheidung, sondern hängt vom Design der jeweiligen THT-Lötstelle sowie vom eingesetzten Lötverfahren und dessen Parametern ab. Fertigungsprozessparameter können in klassischen DfM-Checks methodisch bedingt nicht berücksichtigt werden.

Die hohe Varianz von Multilayer-Designs und die Prozessphysik sind regelbasiert nicht hinreichend abbildbar. In Bild 1 besteht die rechte Konstruktion nach gängigen Abstandsregeln den Design-Rule-Check, während das linke Bauteil die Regel verletzt – die Röntgenbilder zeigen jedoch das Gegenteil in der Lötbarkeit.

DfM-Prüfung auf Basis des digitalen Zwillings

Über den „digitalen Zwilling“ wird immer wieder viel geschrieben – oft bleibt er jedoch abstrakt. Mehrere Forschungsprojekte am Lehrstuhl FAPS der FAU Erlangen-Nürnberg haben diese Lücke für den THT-Lötprozess geschlossen. Aus den Ergebnissen entstand Deeptronics mit dem Ziel, die Industrie praxisnah zu unterstützen.

In der Forschung wurden geeignete Modellierungsverfahren umfassend untersucht:

  • Analytische Verfahren sind nicht ausreichend genau
  • Reine Simulation erfordert typischerweise hohe Rechenleistung und lange Laufzeiten je Fall.
  • Maschinelles Lernen benötigt aussagekräftige Trainingsdaten, die in Unternehmen meist nicht vorliegen.

Durch die geeignete Kombination aus experimentellen Daten, Simulation und ML lassen sich die Nachteile einzelner Ansätze überwinden. Ergebnis: schnelle, präzise und industrietaugliche Berechnungen – ohne hohe Vorabinvestitionen in Simulationssoftware, Rechenzentren oder Datensammlung.

Der digitale Zwilling des THT-Lötprozesses – der Solder Copilot – funktioniert genau wie eine digitale THT-Lötanlage. Ein hybrides Modell aus Datenalgorithmen und Simulation prüft die Löt-barkeit von THT-Lötstellen bereits vor Design-Freeze und Materialbestellung (Bild 2). Der „Energieausweis“ der Lötstelle macht Risiken und Optimierungspotenziale für alle Beteiligten sichtbar und verständlich. Er dient in FMEA, Entwicklung und Fertigung als objektives Kommunikationskriterium für Lötbarkeit.

Zusätzlich kann das Verfahren automatisch Lötprogramme für ein importiertes Baugruppendesign erzeugen. Das spart Kosten und Handarbeit in der Prozessoptimierung und verbessert die Zykluszeiten durch eine wärmebedarfsoptimierte Lötzeitbestimmung je Lötstelle.

Bild 2: „Energieausweis“ der THT-Lötstelle – transparente Darstellung von Lötwärmebedarf und Prozessfenster.

Lötbar oder nicht lötbar? – Industriebeispiel

Scheidt & Bachmann wandte sich mit der Frage nach der Fertigbarkeit eines neuen Produkts an Rösnick und Deeptronics. Die Berechnung des aktuellen Designs zeigte – im Einklang mit den Lötergebnissen – problematische Lötstellen (Bild 3A). Nach gezielten Designoptimierungen bestätigte die Neuberechnung die Wirksamkeit: Der Lötwärmebedarf lag nun innerhalb des Prozessfensters, im Zielbereich von bis zu 6 Sekunden Kontaktzeit (Bild 3B). Röntgen-ergebnisse und Berechnung stimmten überein. Fazit: Lötprobleme lassen sich frühzeitig erkennen und gezielt beheben.

Digitaler Zwilling als Grundlage für die produktspezifische Lötmaskenauslegung

Die Lötmaske ist ein zentrales Betriebsmittel für Prozessstabilität und Qualität. Eine rein geometrische Anpassung greift zu kurz. Entscheidend ist, die Lötbarkeit der Baugruppe – idealerweise je Lötstelle – zu kennen und die Maske darauf auszulegen.

„Die Gretchenfrage der Lötbarkeit ist bei uns Tagesgeschäft. Leider kommen viele Kunden erst zu uns, wenn das Layout praktisch feststeht und die Änderungskosten sehr hoch sind“, erläutert Oliver Hagemes, Vertriebsmanager bei Rösnick. Wer den Lötprozess früh berücksichtigt, senkt spätere Fertigungskosten – durch kürzere Taktzeiten und höhere Ausbringung. Der Solder Copilot macht Lötbarkeit mess- und vergleichbar. Risiken werden transparent, Lötmasken zielgenau ausgelegt – das spart Design-Iterationen und hebt die Fertigungsqualität.

Bild 3: Solder Copilot-Berechnungsergebnis vor (A) und nach (B) dem Redesign sowie korrespondierende Röntgenergebnisse zur Validierung.

„Mit dem digitalen Zwilling passen wir die Lötmaske nicht nur geometrisch an die Baugruppe an, sondern prüfen zusätzlich die Lötbarkeit jeder einzelnen Lötstelle und berücksichtigen sie in der Konstruktion“, so Oliver Hagemes. Erfolgt die Analyse bereits in frühen Musterständen, lässt sich das Baugruppendesign optimal an den Lötprozess anpassen – die Qualität im späteren Serienprozess wird nachhaltig abgesichert.

Zeit und Geld sparen mit modellbasierter THT-DfM

Unternehmen müssen Mehrkosten und Verzögerungen vermeiden – erschwert durch Demografie und Fachkräftemangel. Die modellbasierte THT-DfM mit dem Solder Copilot liefert hier ihren Beitrag und spart Zeit und Kosten. Redesigns bedeuten schnell Monate und vier- bis fünfstellige Beträge für Material und Lötwerkzeuge. Wer die Lötbarkeit vor der Musterfertigung bewertet, reduziert Iterationen und Risiken.

„Den THT-DfM-Check durch den Solder Copilot haben wir als neuen Stand der Technik definiert, der ab jetzt bei kritischen Neuentwicklungen durchgeführt wird. Statt wochenlang auf Material für die Musterfertigung zu warten, erhalten wir eine Rückmeldung zur Lötbarkeit des Designs in einem Bruchteil der Zeit und können die Ergebnisse mit der Entwicklung diskutieren“, so Christian Wipprecht.

Allein der Schritt von 4 auf 3 Design-Iterationen spart 25 % Entwicklungsdauer – das sind Monate im Projektplan und tausende bis zehntausende Euro bei Musteraufbauten. Die Kosten verspäteter Markteinführung sind darin noch nicht enthalten. „Zusätzlich reduzieren gut lötbare Lötstellen die Prozessentwicklungszeit, Nacharbeit und Fehlerzahlen.“, ergänzt Christian Wipprecht.

SWo es sich besonders lohnt – weil generische Design-Rules THT-Probleme häufig übersehen:

Bild 4: Gespräch zur Lötrahmen-Optimierung mit Demetrio Nicodemo (li.), Vertriebsmanager bei Rösnick, in der Fertigungsabteilung bei Scheidt & Bachmann in Mönchengladbach.
  • Leiterplatten > 1,6 mm Dicke
  • Multilayer-Leiterplatten mit vielen Lagen und hohen Qualitätsanforderungen
  • Kritische THT-Designs (z. B. große thermische Massen, enge Toleranzen)

Selbst vermeintlich unkritische Leiterplatten sorgen immer wieder für teure Überraschungen – die frühzeitige Analyse deckt sie auf.

Nutzen entlang der Kette

  • Entwicklung: klare, datenbasierte Entscheidungen; weniger Iterationen
  • Fertigung: kürzere Durchlaufzeiten, weniger Fehler und weniger Nacharbeit
  • Management: höhere Planungssicherheit; gesichertes Erfahrungswissen
  • Auch die Lötmaskenkonstruktion profitiert direkt von Lötbarkeitsdaten:

    „Die Lötbarkeitsanalyse gibt uns entscheidende zusätzliche Hinweise zur Konstruktion der Lötmaske. Wir berücksichtigen nicht nur die nackte Geometrie, sondern auch erwartbare Lotdurchstiegsprobleme – und können gezielt reagieren“, resümiert Hagemes.

Fazit

Modellbasierte THT-DfM identifiziert versteckte Kosten und Risiken frühzeitig und macht Entwicklungs- und Fertigungsprozesse messbar effizienter. So heben Unternehmen ihre Produktentwicklung auf das nächste Level und erarbeiten sich einen Vorsprung im internationalen Wettbewerb.

>> productronica 2025: Rösnick: Halle A4, Stand 429

Autor

Dr. Reinhardt Seidel

Geschäftsführer Deeptronics GmbH, Lauf a.d. Pegnitz