Globale Machtverschiebungen, Handelskonflikte und Desinformation: Der Vortrag von Markus Hoffmann auf dem EMS&PCB Forum in Bonn machte deutlich, wie geopolitische Risiken zur strategischen Chefsache werden – besonders für die Elektronikindustrie.
Petra GottwaldPetraGottwaldPetra GottwaldChefredakteurin Elektronik-Titel
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Geopolitik ist nichts mehr nur für Diplomaten“, erklärte Markus Hoffmann (CSO, Werap Group) gleich zu Beginn seines Vortrags auf dem EMS & PCB Forum 2025 in Bonn. Ein Satz, der den Wandel auf den Punkt bringt: Globale politische Dynamiken haben sich von fernen Hintergrundgeräuschen zu unmittelbaren Einflussfaktoren auf unternehmerisches Handeln entwickelt – vor allem in der Elektronikindustrie.
„Es geht nicht darum, Risiken auszuschalten – sondern sie frühzeitig zu erkennen und Pläne zu haben, wie man ihnen begegnet.“in4ma/Andreas Jahn
Ob Kriege, Handelskonflikte oder Machtverschiebungen – diese Themen beeinflussen längst nicht mehr nur Staatsoberhäupter. Sie verändern Lieferketten, beeinflussen Projektlaufzeiten, treiben Versicherungskosten und werfen Fragen nach Standort- und Personalstrategie auf. Die Quintessenz: Geopolitik ist Bestandteil wirtschaftlicher Realität, weshalb Hoffmann appelliert: „Unternehmen – gerade mittelständische EMS-Dienstleister – sollten geopolitische Risiken nicht delegieren, sondern als strategische Führungsaufgabe verstehen.“
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Wie beeinflusst Geopolitik Lieferketten?
Die von Hoffmann skizzierte „geopolitische Rezession“ bezeichnet keine klassische Wirtschaftskrise, sondern einen anhaltenden Zustand globaler Unsicherheit. Die Auswirkungen spüren Unternehmen unmittelbar:
Zölle verteuern Produkte und verschieben Wettbewerbsdynamiken.
Internationale Projekte geraten ins Stocken oder werden neu priorisiert.
Verträge verlieren durch politische Entscheidungen ihre Planungssicherheit.
Globale Konzerne entscheiden sich oftmals dafür, abzuwarten und vorerst nichts zu tun.
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Ein Beispiel liefert die slowakische Autoindustrie, die durch US-Zölle signifikant unter Druck geraten ist. Hoffmann fordert deshalb ein grundlegendes Umdenken im Risikomanagement. Unternehmen sollen geopolitische Risiken nicht in der Compliance-Abteilung verorten, sondern auf Geschäftsführungsebene beobachten – mit einfachen Mitteln:
Aufbau eines geopolitischen Radars im Management
regelmäßige Bewertung politischer Lagen in Schlüsselmärkten
Ein zentrales Thema war der fortschreitende Zerfall der internationalen Ordnung in neue Machtblöcke – etwa USA versus China oder G7 versus BRICS. Hoffmann stellt fest, dass diese neuen Konstellationen selten klare Kanten haben. Viele Länder – darunter Indien oder die Türkei – operieren opportunistisch zwischen den Fronten.
„Wir müssen erkennen, dass es den einen Weltmarkt nicht mehr gibt. Stattdessen entstehen Teilmärkte mit eigenen Regeln und Risiken.“in4ma/Andreas Jahn
Für europäische Unternehmen bedeutet das: Globale Neutralität wird schwieriger. Geschäftsmodelle geraten unter Druck, wenn sich Staaten auf einzelne Wirtschaftsblöcke fokussieren. Hoffmann nennt daher als Lösungsansatz eine Teilmarktstrategie, die statt globalem Gleichschritt auf gezielte regionale Marktlogiken setzt. Er empfiehlt, sich gezielt in Länder mit Vermittlerrolle zu positionieren – beispielsweise in Ost- und Mitteleuropa. Dort lassen sich Schnittstellen zu westlichen wie östlichen Märkten aktiv gestalten.
Wie wirkt sich wirtschaftlicher Protektionismus aus?
Der Vortrag ging auch auf das Phänomen der „beggar-thy-neighbour“-Politik ein – eine Form des Protektionismus, bei dem Staaten sich wirtschaftlich auf Kosten anderer stärken. Subventionen, Exportförderung oder die gezielte Erzeugung von Überkapazitäten sind typische Maßnahmen.
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Konkret benennt Hoffmann hier die USA und China, die durch Subventionspolitik Marktmechanismen verzerren. Der Effekt: Preisverzerrung, Wettbewerbsnachteile und strategische Abhängigkeiten. Besonders betroffen sei die europäische Elektronikindustrie. Hoffmann empfiehlt als Reaktion strategische Partnerschaften mit Branchenverbänden, multilaterale Kooperationen und verstärkte europäische, aber auch weiterhin globale Vernetzung.
Warum sind Teilmarktstrategien notwendig?
Hoffmann, selbst erklärter Freund der Globalisierung, spricht sich dennoch für einen Kurswechsel aus. Grund: Der bedingungslose Globalismus funktioniere nicht mehr.
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Stattdessen empfiehlt er Unternehmen:
klare Fokusmärkte zu definieren
Abhängigkeiten regelmäßig zu überprüfen
flexible Marktzugänge zu sichern
So entsteht unternehmerische Resilienz – ohne gleich ideologische Grenzen zu ziehen. Teilmarktstrategien erlauben es Unternehmen, regional unterschiedliche Chancen zu nutzen, ohne sich politisch zu positionieren.
Welche Bedrohungen ergeben sich durch Desinformation?
Ein heikles, aber zentrales Thema war der Einfluss von Desinformation, Fake News und Cyberangriffen. Hoffmann verwies auf die zunehmende Komplexität hybrider Bedrohungen – vom Fake-CFO-Anruf über Deepfake-Identitäten bis hin zu manipulativen Social-Media-Kampagnen.
„Ich bin ein Fan der Globalisierung. Aber eine unabhängige Totalmarkt-strategie ist in dieser Welt nicht mehr tragfähig.“in4ma/Andreas Jahn
Er empfiehlt eine nüchterne, ideologiebefreite Kommunikation – sowohl nach außen als auch intern. Unternehmen sollen über technologische Abwehrmaßnahmen hinaus auch ihre Awareness stärken. Dazu gehören:
regelmäßige Cybersecurity-Schulungen
Monitoring von Informationsquellen
Aufbau vertrauenswürdiger Informationsnetzwerke
Was bringen geopolitische Frühwarnsysteme?
Angesichts der beschriebenen Risiken sieht Hoffmann Frühwarnsysteme als essenziell – und zwar auch für kleinere Unternehmen. Dabei gehe es nicht um aufwändige Nachrichtendienste, sondern um einfache, systematische Risikoanalysen:
Welche Länder sind Teil meiner Lieferkette?
Welche politischen Entwicklungen könnten Märkte beeinflussen?
Wie stark bin ich von einzelnen Regionen abhängig?
Verbände, Handelskammern und politische Netzwerke bieten hier eine wertvolle Unterstützung – vorausgesetzt, sie agieren ideologiefrei und praxisnah.
Politische Netzwerke und Lobbyarbeit waren weitere Schwerpunkte. Hoffmann wies auf die strukturellen Unterschiede zwischen Unternehmerschaft und Verwaltung hin: Deshalb plädiert er für politisches Engagement auf mehreren Ebenen und zumindest in den Ländern mit eigener Präsenz:
„In Brüssel sitzen Technokraten, keine
Unternehmer. Sie brauchen Argumente, die zu ihrer Logik passen – nicht zwangsläufig zu unserer.“in4ma/Andreas Jahn
direkte Ansprache von Abgeordneten auf Landes- und Bundesebene
zielgerichtete Teilnahme an Verbandsarbeit
Nutzung von Netzwerken und Interessensvertretungen mit branchenübergreifender Ausrichtung
Persönliche Beziehung zu Politikern, Regierungsangestellten, Lobbyisten und Verbandsführung
Wichtig sei es, sich nicht nur auf große Industrievertreter zu verlassen, sondern selbst aktiv zu werden – insbesondere als Mittelstand.
Was bedeutet Szenarioplanung in geopolitischen Krisenzeiten?
Ein weiteres Kernelement des Vortrags war die Szenarioplanung, zusammengefasst unter dem Akronym „SchNasSil“:
Schwarze Schwäne (unvorhersehbare Krisen, z. B. Pandemie)
Graue Nashörner (absehbare Risiken wie Taiwan-Konflikt)
Silberstreifen (Chancen durch Wandel und Kooperation)
Hoffmann empfiehlt, Notfallpläne für alle drei Szenarientypen zu entwickeln – nicht, um Krisen zu vermeiden, sondern um in ihnen handlungsfähig zu bleiben.
Am Ende bleibt ein klares Bild: Unternehmen in Europa können geopolitische Risiken nicht ignorieren. Sie müssen Teil der Unternehmensstrategie werden – und zwar integriert, frühzeitig und vernetzt.
Die zentralen Handlungsfelder laut Hoffmann:
Geopolitisches Monitoring etablieren
Lieferketten diversifizieren
Frühwarnsysteme aufbauen
Cybersecurity stärken
Teilmarktstrategien entwickeln
Politische Netzwerke ideologiefrei nutzen
Szenarien systematisch planen
Oder, wie Hoffmann es abschließend formulierte: „Am Ende bin ich Europäer. Lasst uns rational planen – nicht ideologisch streiten.“