Interview mit Dr. Juliane Kluge, BMW

„Industriekooperation und interne F&E sind entscheidend“

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Dr. Juliane Kluge agierte unter anderem als Head of R&D High Performance Components and Concepts Electric Drive bei BMW UK.
Dr. Juliane Kluge agierte unter anderem als Head of R&D High Performance Components and Concepts Electric Drive bei BMW UK.

Wie können OEMs Kosten, Leistung und Nachhaltigkeit in der Batteriezellentwicklung in Einklang bringen? Dazu haben wir Dr. Juliane Kluge, Head of Cell Chemistry and Methods bei BMW interviewt.

Dr. Juliane Kluge prägt seit über zwei Jahrzehnten die strategische Ausrichtung der BMW Group – mit besonderem Fokus auf Nachhaltigkeit, elektrische Antriebssysteme und vor allem die Innovation im Bereich Batteriezellen. Seit Juni 2024 arbeitet sie im strategischen Kernbereich des Unternehmens an kommenden Zellkonzepten.

Im Kontext der Automotive Battery Conference haben wir mit Dr. Kluge über die technische Roadmap von BMW gesprochen – über die Zielrichtung steigender Energiedichten, notwendige Materialkompromisse und den Stellenwert geschlossener Wertstoffkreisläufe. Das Gespräch zeigt, wie BMW auch in einem zunehmend kompetitiven Umfeld seine technologische Führungsrolle in der Batterietechnologie behaupten will.

Frau Dr. Kluge, welche Leistungsfaktoren sind bei der Optimierung von Lithium-Ionen-Batterien für die nächste Generation von Automobilanwendungen am wichtigsten?

Angesichts steigender Anforderungen an Batteriezellen durch Kundenerwartungen und verschärfte Vorschriften besteht die zentrale Herausforderung bei der Entwicklung zukünftiger Batteriezellen bei BMW darin, technische Anforderungen optimal auszubalancieren, Kosteneffizienz sicherzustellen und gleichzeitig kritische Faktoren wie geopolitische Resilienz und Nachhaltigkeit zu berücksichtigen. Die Optimierung von Lithium-Ionen-Batterien für die nächste Generation konzentriert sich vor allem auf die Erhöhung der Energiedichte – ein Faktor, der direkt die elektrische Reichweite von Fahrzeugen beeinflusst. Mit der Einführung der sechsten Generation der BMW eDrive-Technologie (GEN 6) in der Neuen Klasse, die Ende dieses Jahres auf den Markt kommt, hat BMW einen bedeutenden technologischen Fortschritt erzielt: eine bis zu 30 % höhere Ladegeschwindigkeit durch die neue 800V-Technologie sowie rund 30 % mehr elektrische Reichweite – in einigen Modellen sogar mehr. Diese Entwicklung ermöglicht es Fahrzeugen im oberen Segment, Reichweiten auf dem Niveau von Benzinern zu erreichen.

Wie entwickelt sich das Zell- und Batterie-Design bei BMW, um diesen Wandel zu unterstützen?

Die neue zylindrische BMW-Zelle weist eine 20 % höhere Energiedichte auf als die prismatische Gen5-Zelle. Diese Zellen werden direkt in die Hochvoltbatterie integriert („Cell-to-Pack“), die zusätzlich zu ihrer Funktion als Energiespeicher künftig auch eine strukturelle Rolle in den Karosserien der Neuen Klasse übernimmt („Pack-to-Open-Body“). Diese Architektur erlaubt ein flacheres Design, was eine flexible Integration über alle Fahrzeugsegmente hinweg ermöglicht und die Kosteneffizienz steigert. Wir beobachten einen Trend hin zu stärkerer Fokussierung auf Schnellladefähigkeit, um die Kundenerwartungen zu erfüllen. Diese erfordert jedoch ein aktives Management von Herausforderungen wie Lithium-Plating und Wärmeentwicklung in der Zelle, um deren Lebensdauer zu erhalten und die Systemkomplexität zu bewältigen.

Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit in Ihrer Strategie?

Nachhaltigkeit ist ein entscheidender Faktor in der Batterietechnologie. BMW setzt sich für eine hohe Rezyklierbarkeit der Batterien ein und entwickelt aktiv nachhaltige Materialien und Prozesse zur Reduktion der Umweltbelastung. Dazu gehört der Aufbau lokaler Wertschöpfungsketten und die Minderung geopolitischer Risiken. Langfristig verfolgt die BMW Group einen geschlossenen Materialkreislauf, bei dem Kobalt, Nickel und Lithium aus Altbatterien zurückgewonnen und in die Lieferkette neuer Batterien integriert werden. Diese Strategie erhöht Effizienz und Resilienz in einer zirkulären Wirtschaft. Die Förderung der Kreislaufwirtschaft ist ein strategisches Ziel der BMW Group – durch Entwicklung rezyklierbarer Produkte und den Einsatz von Sekundärmaterialien.

Was sind die größten chemischen oder designbezogenen Herausforderungen bei der Entwicklung zukünftiger Batteriezellen bei BMW?

Angesichts unseres breiten Fahrzeugspektrums – von leistungsstarken Premiumfahrzeugen mit hoher Reichweite bis zu Einstiegsmodellen für kostenbewusste Kunden – verfolgen wir unterschiedliche Entwicklungsansätze. Bisher wurde die Energiedichte vor allem durch den Einsatz von NMC-Kathodenmaterialien (Nickel-Mangan-Kobalt) mit steigendem Nickelanteil über 90 % erhöht. Damit wird jedoch die physikalische Grenze dieser Materialklasse erreicht. Weitere Steigerungen der Energiedichte erfolgen über die Integration von Silizium in die Graphit-Anode. Der aktuelle Siliziumanteil liegt bei unter 10 %. Eine signifikante Erhöhung darüber hinaus ist zwar im Gange, bringt aber Herausforderungen mit sich – insbesondere in Bezug auf Lebensdauer, Anschwellen der Zellen und die Integration auf Systemebene, die derzeit für die Großserienproduktion noch ungelöst sind.

Wie geht BMW mit dem Zielkonflikt zwischen Kosten und Leistung um?

Kosteneffizienz ist ein weiterer entscheidender Entwicklungstreiber für neue Zelltechnologien – insbesondere durch Substitution teurer Komponenten wie Kobalt oder hochnickelhaltiger Materialien. Für attraktive Energiedichten sind daher Materialien wie NMC mit mittlerem Nickelgehalt (ca. 60–70 %) und höherem Mangananteil oder manganreiche Kathodenmaterialien (LMR) vielversprechend – ebenso wie LMNO, ein spinellstrukturiertes Material. Um deren volles Potenzial auszuschöpfen, muss die Zellspannung erhöht werden („Cut-off Voltage“). Das erfordert wiederum hochentwickelte Elektrolyte, um komplexe Alterungsprozesse zu kontrollieren – und gleichzeitig die Leistungsfähigkeit der Zelle im Gleichgewicht zu halten.

Wo stehen LFP und vergleichbare Chemien derzeit in diesem Spannungsfeld?

LFP liegt bei der Energiedichte im unteren Bereich. Obwohl LFP-Zellen etwa 50 % weniger Energiedichte bieten als hochnickelhaltige NMC-Zellen, haben sie einen klaren Kostenvorteil und sind am Markt gut etabliert. Aufgrund der geringen spezifischen volumetrischen und gravimetrischen Kapazität ist jedoch im Einzelfall zu prüfen, ob die Energiedichte auf Pack-Ebene den Anforderungen bestimmter Fahrzeuge genügt. Fortschrittlichere Materialien wie LMFP (Lithium-Mangan-Eisenphosphat) können die Kapazität erhöhen, sind aber kostenintensiver und haben bislang Schwierigkeiten, die Lebensdaueranforderungen zu erfüllen. Natrium-Ionen-Technologie hat derzeit eine deutlich geringere Energiedichte als LFP. Für stationäre Anwendungen interessant, könnte sie langfristig auch im Automotive-Bereich relevant werden – vorausgesetzt, die Energiedichte verbessert sich erheblich. Solid-State-Batterien (ASSB) könnten perspektivisch durch den Einsatz von Lithium-Metall-Anoden mit null Überschuss eine maximale Energiedichte ermöglichen. Doch es bestehen noch zahlreiche technische Hürden.

Welche Risiken gibt es beim Einsatz von Lithium-Metall-Anoden?

Besondere Herausforderungen sind das erhebliche Volumenwachstum, eine instabile Grenzfläche, chemomechanischer Stress und die Gefahr des Dendritenwachstums. Trotz dieser Hürden bietet diese Technologie das Potenzial für ein hohes Maß an Sicherheit und reduzierte Anforderungen an das Thermomanagement – was wiederum Einsparungen bei Sicherheits- und Kühlsystemen auf Pack-Ebene erlaubt. Der Zeitplan für einen Serieneinsatz hängt davon ab, ob ASSB gegenüber klassischen Lithium-Ionen-Zellen ein besseres Funktions-Kosten-Verhältnis bietet – was noch zu belegen ist.

The Automotive Battery Congress

Die Elektromobilität wird in den nächsten Jahren einer der Haupttreiber in der Automobilindustrie sein. Dabei spielt die Batterie eine der wichtigsten Rollen bei der weltweiten Verbreitung von Elektrofahrzeugen, wobei die entscheidenden Faktoren die Reichweite der Batterie, die Lademöglichkeiten und die Finanzierung der Produktionskosten sind. Alle diese Themen vereint die nächste Ausgabe der „The Automotive Battery“ vom 1. Juli bis 2. Juli 2026 in München.

Weitere Infos zum Automotive Battery Congress finden Sie hier.

Welche Rolle spielen Kooperationen und Inhouse-Forschung bei BMWs Zellstrategie?

Kooperationen und interne F&Esind entscheidend für die langfristige Zellstrategie bei BMW. Ein belastbares Netzwerk aus akademischen Partnern, Start-ups und Industrie ist essenziell, um frühzeitig Zugang zu Innovationen zu erhalten. Eine Säule unserer Strategie ist die enge Serienentwicklung mit Zelllieferanten: Wir definieren die Zellgeneration basierend auf unserem Know-how – die Partner industrialisieren. So können wir mit jeder Generation neue Partner wählen und deren Innovations- und Kostenvorteile nutzen. Große Zellhersteller profitieren durch größere Volumina zusätzlich von Skaleneffekten.

Und was ist die zweite Säule?

Die zweite Säule ist unsere eigene Kompetenz: Seit 2012 bauen wir dafür eine dedizierte Organisation auf – das Battery Cell Competence Center (BCCC). Dort evaluieren wir neue Materialien, entwickeln eigene Zellen (vom Labormuster bis zum zylindrischen Prototypen) und forschen an Zellkonzepten. Im Cell Manufacturing Competence Center (CMCC), unserer Pilotfertigung, optimieren wir dann die Herstellprozesse auf Gigawattstunden-Niveau. Denn eine Zellarchitektur ist nur so gut wie ihr Fertigungsprozess. Um weltweit nah an Innovationen zu sein, betreiben wir Technologieoffices in den USA, Korea, Japan und China. Diese fungieren als „Augen und Ohren“, liefern Impulse und Zugänge zu neuen Technologien. Die Kooperationen sind auf die Reife der Technologie zugeschnitten: von Materialmustern zur Benchmarking-Prüfung bis zu Joint Development Agreements. Auch öffentlich geförderte Projekte mit Start-ups oder Universitäten nutzen wir, um gemeinsam Kompetenzen und Erkenntnisse für die OEM-Entwicklung zu erschließen.

Dieses Interview wurde zuerst auf unserem englischsprachigen Portal Automotive Digital Transformation publiziert.

Der Autor: Benjamin Müller

Autorenbild von Benjamin Müller

Benjamin Müller mag Texte. Gesprochene und geschriebene, deutsche und fremdsprachliche, dialektische und dialektale. Pälzer halt. Sein Interesse für Lyrik und Prosa, Rhetorik und Semantik führten ihn an den Germersheimer FTSK. Dort (und an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau) lernte er u.a. das Simultan- und Konsekutivdolmetschen, dass Amerikanistik von Hollywood bis Hawthorne reicht, dass Sprechakttheorien auch für Kundenkontakte interessant sind und dass es ohne Newton und Leibniz keine Autos gäbe. Seit 2025 lebt er sein technisches Interesse nun bei Ultima Media Germany aus, wo er in englischer und deutscher Sprache für Automotive Digital Transformation, automotiveIT, AUTOMOBIL PRODUKTION und all-electronics tätig ist.