Schlüsseltechnologien für Europas Digitale Zukunft
Drei Megatrends für Europas technologische Zukunft
Daniel Kroll, Philipp SchlüterDaniel Kroll, PhilippSchlüter
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Mikroelektronik im Fokus: Fortschrittliche Chiparchitektur als Grundlage für Europas technologische Souveränität in einer vernetzten Zukunft.(Bild: MheeP @ AdobeStock)
Quantencomputing, Advanced Packaging und Silicon Photonics sind Europas Schlüsseltechnologien für die digitale Souveränität. Diese Trends bieten der Halbleiterindustrie die Chance, globalen Herausforderungen erfolgreich zu begegnen.
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Die Halbleiterbranche steht an einem Wendepunkt: Während die Nachfrage nach Rechenleistung für KI, Cloud-Dienste und Quantenanwendungen explodiert, stößt die klassische Chip-Architektur an physikalische und ökonomische Grenzen. Drei Megatrends prägen die Transformation der Industrie – Quantencomputing, Advanced Packaging und Silicon Photonics. Sie adressieren nicht nur technische Herausforderungen, sondern auch drängende Fragen zur Energieeffizienz, zu globalen Wertschöpfungsketten und zur digitalen Souveränität für Europa.
Quantencomputing: Europas stille Führungsrolle jenseits des US-Hypes
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Europa hat sich mit Initiativen wie dem EU-Quantenfonds mit 1 Mrd. Euro Budget und der Integration von Quantencomputern in Europas Supercomputing-Infrastruktur (EuroHPC JU) als globaler Forschungspionier positioniert. Bis 2025 sollen sechs europäische Standorte, darunter Deutschland, Frankreich und Italien, Quantencomputer als „Beschleuniger“ für Hochleistungsrechner bereitstellen.
Während US-Konzerne wie IBM und Google große Fortschritte verkünden und Systeme mit mehreren hundert Qubits ankündigen, ist der reale Nachweis von skalierbarer Fehlerkorrektur bislang ausgeblieben. Die Existenz von Systemen mit mehr als 1.000 fehlerkorrigierten Qubits bleibt ein Zukunftsversprechen, keine belegte Realität.
Europäische Unternehmen setzen stattdessen auf Substanz: Das Leipziger Start-up SaxonQ hat als erstes Unternehmen in Europa einen voll funktionsfähigen mobilen Quantencomputer auf Basis diamantbasierter Qubits geliefert. Diese Systeme arbeiten stabil bei Raumtemperatur, ohne den enormen Aufwand für kryogene Kühlung – ein fundamentaler Schritt für energieeffiziente und praktische Quantenanwendungen.
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Quantencomputing, Advanced Packaging und Silicon Photonics markieren die strategischen Handlungsfelder, mit denen Europa technologische Unabhängigkeit und globale Wettbewerbsfähigkeit sichern kann.(Bild: Pava Partner)
Energieeffizienz als Systemvorteil
Quantencomputer verbrauchen theoretisch nur einen Bruchteil der Energie herkömmlicher Rechner. Doch heutige Systeme sind oft so groß wie Serverräume und benötigen Megawatt an Kühlleistung. Hier bietet SaxonQ eine echte Alternative: Durch NV-Zentren in Diamant und miniaturisierte Bauformen wird Raumtemperaturbetrieb ohne aufwendige Infrastruktur möglich.
Bis 2030 plant SaxonQ, Quantenchips und Co-Prozessoren zu fertigen, die sich in Rechenzentren, Robotern und Fahrzeugen integrieren lassen. Damit zielt das Unternehmen auf eine industrielle Massenmarktadoption – eine Vision, die weit über Forschungsdemonstratoren hinausgeht.
Der nächste entscheidende Schritt ist die Skalierung in Form von massenmarkttauglicher Anwendbarkeit. Dabei geht es nicht nur um die Erhöhung der Qubit-Anzahl, sondern auch um die Wahl passender Anwendungen und die industrielle Beherrschung der Fertigung:Präzise Einzelionenimplantation, Wiring für Einzelansteuerung und optische Auslesbarkeit auf engstem Raum werden dabei zu Schlüsseltechnologien – eine Richtung, die Unternehmen wie SaxonQ aktiv entwickeln.
Europa hat hier eine strategische Chance: Mit seiner Stärke in Materialwissenschaften, Fertigungstechnik und koordinierter Forschungsförderung kann es nicht nur Forschungserfolge erzielen, sondern die industrielle Umsetzung dominieren.
SaxonQ's Quantencomputer im Desktopformat soll bis 2030 massenmarkttauglich werden.(Bild: Swen Reichhold)
Advanced Packaging: Die 3D-Revolution – strategischer Vorteil für Europa
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Das klassische Moore’s Law stößt aktuell an seine Grenzen: Statt auf immer kleinere Transistoren setzt die Branche jetzt auf eine heterogene Integration. Technologien wie CoWoS (TSMC) oder Foveros (Intel) stapeln Rechen-, Speicher- und Kommunikationschips vertikal, um die Bandbreite und Energieeffizienz zu steigern. TSMC etwa will seine CoWoS-Kapazität im Laufe des Jahres 2025 auf 75.000 Wafer verdoppeln – getrieben durch NVIDIAs H100/B100-GPUs für KI-Supercomputer.
Aber auch europäische Unternehmen engagieren sich intensiv in diesem zukunftsweisenden Bereich. Europas Position im Markt für Advanced Packaging Equipment ist deutlich stärker als im klassischen Fab-Bereich und bildet eine der tragenden Säulen der europäischen Halbleiterindustrie. Während die Region im Bereich der Halbleiterfertigung (Fabs) mit einem globalen Marktanteil von nur 3 bis 4,5 Prozent traditionell eine untergeordnete Rolle spielt, hält der Kontinent im Advanced Packaging Equipment Markt laut einem aktuellen Report einen Anteil von über 30 Prozent am weltweiten Umsatz. Das ist vor allem auf die Innovationskraft und technologische Führungsrolle spezialisierter Unternehmen wie Nearfield Instruments, EV Group und Evatec zurückzuführen.
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Nearfield Instruments aus den Niederlanden liefert hochpräzise, zerstörungsfreie Metrologie- und Inspektionslösungen, die für die Prozesskontrolle bei der Herstellung komplexer 3D-Strukturen und Advanced Packaging unerlässlich sind. Die österreichische EV Group (EVG) dominiert den Markt für Wafer-Bonding-Equipment, insbesondere im Bereich SOI-Bonding, und ist führend bei Lithografie- und Nanoimprint-Lösungen für Advanced Packaging und heterogene Integration. Evatec aus der Schweiz wiederum bietet innovative PVD-Lösungen für Wafer- und Panel-Level-Packaging, die durch hohe Durchsätze, exzellente Schichtqualität und flexible Plattformen überzeugen.
Diese Unternehmen ermöglichen es europäischen Halbleiterherstellern, bei Schlüsseltechnologien wie 2.5D/3D-Integration, Fan-Out-Wafer-Level-Packaging und High-Bandwidth-Memory wettbewerbsfähig zu bleiben. Die starke Stellung Europas im Advanced Packaging Equipment Markt ist somit ein strategischer Vorteil, der die technologische Souveränität und Innovationskraft der Region nachhaltig stärkt.
Doch ohne eigene Großproduktion bleibt Europa abhängig. Die EU-Kommission fördert daher fünf Pilotlinien für heterogene Integration, darunter Silicon Austria Labs und Fraunhofer FMD. Ihr Ziel: Europäische Spezialchips für Automotive und Industrie 4.0 mit lokalem Packaging zu kombinieren.
Silicon Photonics: Licht als Rettung für überhitzte Rechenzentren
Rechenzentren verbrauchen schon heute 1,5 Prozent des weltweiten Strombedarfs – Tendenz steigend. KI-Systeme wie ChatGPT verschärfen das Problem: Das Training eines großen Sprachmodells erfordert bis zu 1 GWh Strom, was dem Jahresverbrauch von 100 Haushalten entspricht. Geht der KI-Boom im bisherigen Tempo weiter, dürften Rechenzentren 2030 bereits 3,5 Prozent des weltweiten Stroms verbrauchen, wie die US-Marktforscher von Gartner errechnet haben. Silicon Photonics könnte hier entlasten: Durch optische Signalübertragung direkt auf dem Chip sinkt der Energiebedarf pro Bit um bis zu 75 Prozent gegenüber Kupferleitungen.
Europa als Treiber der Optik-Revolution
Unternehmen wie NVIDIA setzen bereits auf Co-Packaged Optics (CPO), um Millionen GPUs in KI-„Fabriken“ zu vernetzen. Europäische Player wie CEA-Leti entwickeln indes photonische Chips für Quantencomputer und 5G-Netze. Das Fachmagazin LaserFocusWorld rechnet mit einem jährlichen Marktwachstum von 23 Prozent in diesem Bereich. Damit dürfte Silicon Photonics zur Schlüsseltechnologie für die folgenden Anwendungsbereiche werden:
KI-Infrastruktur: Reduktion von Latenzen in Trainingsclustern
5G/6G: Hochbandbreitige Backbones für Mobilfunkmasten
Quantenkommunikation: Absichern von Quantennetzwerken gegen Abhörangriffe
Dank CMOS-kompatibler Fertigung lassen sich photonische Schaltkreise kostengünstig in bestehende Halbleiterfabriken integrieren – ein klarer Wettbewerbsvorteil für europäische Foundries wie die GlobalFoundries in Dresden.
Massive Förderung durch die EU
Europas Vorreiterrolle in Silicon Photonics wird durch massive EU-Förderprogramme gestärkt, die gezielt in industrielle Wertschöpfungsketten und Pilotlinien investieren. Das photonixFAB-Projekt (KDT JU, 47,6 Mio. €) etabliert eine europäische Fertigungsinfrastruktur für photonische integrierte Schaltkreise (PICs) mit Fokus auf Siliziumnitrid (SiN) und Silizium-auf-Isolator (SOI), ergänzt durch heterogene Integration von Indiumphosphid (InP) und Lithiumniobat (LNO).
Die Chips Joint Undertaking unterstützt mit 180 Mio. Euro aus einem 325 Mio. Euro-Paket eine Pilotlinie für photonische ICs, die sichtbare und infrarote Wellenlängen abdeckt – entscheidend für KI, Quantencomputing und Umweltsensorik.
Zudem fördert die EU mit 102,85 Mio. EuroHyperPIC zur Entwicklung infraroter PICs für Alltagssensoren und die Horizon Europe-Initiative (480 Mio. Euro) für photonische Schlüsseltechnologien. Diese Programme ermöglichen die Skalierung von Lab- zu Fab-Lösungen und stärken die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen wie X-FAB, CEA-Leti und GlobalFoundries.
Europa verfügt im Bereich Halbleiter über mehrere „Poles of Excellence“, die international Maßstäbe setzen: Eindhoven hat sich mit dem Center for Integrated Photonics und dem Brainport-Ökosystem als führendes Zentrum für Silicon Photonics etabliert, wo zahlreiche Spin-offs wie Photon IP und Smart Photonics aus der TU Eindhoven hervorgegangen sind.
Grenoble gilt mit dem Minalogic-Cluster, STMicroelectronics und SOITEC als Herzstück der europäischen Halbleiter- und Mikroelektronikforschung, insbesondere für industrielle und automotive Anwendungen.
Innsbruck wiederum ist europaweit führend in der Quantenforschung: Die Universität Innsbruck und der Quanten-Hub Tirol treiben mit exzellenten Forschungsgruppen und dem Exzellenzcluster „Quantum Science Austria“ die Entwicklung von Quantencomputern und -technologien voran.
Europas Stärke liegt dabei nicht nur in diesen regionalen Clustern, sondern auch in der hohen Dichte an Nachwuchstalenten von Universitäten und Forschungszentren, die eine Vielzahl innovativer Spin-offs hervorbringen. Da Venture-Capital in Europa traditionell knapp ist, müssen viele dieser Start-ups zunehmend durch staatliche Fonds und EU-Programme unterstützt werden. Das Bewusstsein dafür ist in der Politik angekommen, und die Förderung funktioniert in den letzten Jahren ganz gut. Beispiele dafür sind das niederländische Photon IP im Bereich Silicon Photonics oder das Innsbrucker Quanten-Spin-off ParityQC, die beide von öffentlichen Fördermitteln profitieren und so den Transfer von Forschung in marktfähige Produkte ermöglichen.
Europa hat die Chance auf eine führende Rolle
ie Halbleiterindustrie erlebt durch Quantencomputing, Advanced Packaging und Silicon Photonics eine tiefgreifende Transformation. Europa hat in allen drei Bereichen das Potenzial für eine führende Rolle und digitale Souveränität. Im Quantencomputing zeichnet sich Europa durch starke Forschung und operative Exzellenz aus, braucht aber mehr Investitionen in Fertigung. Advanced Packaging ist ein strategischer Vorteil mit über 30 Prozent Marktanteil im Equipment-Bereich, doch es fehlen lokale Großproduktionen in der Region. Silicon Photonics bietet durch EU-Förderung die Chance, Europas Stärken bei Optik und Halbleitern zu vereinen. Insgesamt verfügt Europa über Exzellenz und viele Talente von namhaften Universitäten, benötigt jedoch eine kohärentere Industriepolitik, Vernetzung von Start-ups und Pilotlinien sowie stärkere Venture-Capital-Unterstützung, um die nächste Halbleiterrevolution aktiv zu gestalten.