
Lars-Åke skizziert eine Bottom-up-Ökobilanz für Logik-Technologieknoten und gibt erste Empfehlungen zur Senkung der CO2-Emissionen. (Bild: AdobeStock_549823686_Luc.Pro)
Seit 40 Jahren beschäftigt sich das interuniversitäre Mikroelektronik-Zentrum (Imec) in Belgien mit der Halbleiterforschung. Gegründet 1984, hat es sich zu einem weltweit führenden Forschungsinstitut entwickelt. Von der Miniaturisierung von Transistoren bis hin zur Entwicklung von fortschrittlichen Speicher- und Sensortechnologien hat Imec wegweisende Beiträge geleistet und Dank enger Partnerschaften mit Industriepartnern wurden die Forschungsergebnisse erfolgreich in kommerzielle Anwendungen überführt.
Die im Jahr 2021 hergestellten Halbleiterbausteine haben einen CO2-Äquivalentfußabdruck von etwa 175 Megatonnen, was den jährlichen Emissionen von etwa 30 Mio. Menschen entspricht. Das virtuelle Fabrikmodell imec.netzero, das im Rahmen des SSTS-Programms (Sustainable Semiconductor Technologies and Systems) entwickelt wurde, hat gezeigt, dass Lithographie und Ätzen zusammen über 40 % der Scope 1- und Scope 2-Emissionen bei hochentwickelten Logikknoten verursachen.
Lars-Åke Ragnarsson ist Programmdirektor für Computer- und Speichertechnologien und konzentriert sich auf die Nachhaltigkeit aktueller und zukünftiger Technologien. Er skizziert eine Bottom-up-Ökobilanz für Logik-Technologieknoten und gibt erste Empfehlungen zur Senkung der CO2-Emissionen.

Notwendig ist eine Bottom-up-Bewertung des Lebenszyklus
„Als Reaktion auf die zunehmende Besorgnis über den Klimawandel intensivieren Technologieunternehmen weltweit ihre Bemühungen, ihre Lieferketten und Produkte CO2-neutral zu gestalten. Dabei kommt der Halbleiterindustrie eine wichtige Rolle zu. Studien haben beispielsweise ergeben, dass sich mehr als 70 % des CO2-Fußabdrucks, der während der Lebensdauer eines Smartphones entsteht, auf den Herstellungsprozess zurückführen lassen, wobei wiederum davon fast die Hälfte, d.h. etwa 40 %, auf die Chip-Produktion entfällt.
Um die Umweltbelastung durch die Chipherstellung zu reduzieren, müssen wir verstehen, wie groß die Auswirkungen sind, welche Teile der Herstellung die größten Auswirkungen haben, wie sie sich in Zukunft entwickeln werden und welche Hebel wir haben, um sie zu reduzieren. Die heute verfügbaren Lebenszyklusinventur-Datenbanken enthalten jedoch nicht die für eine solche Analyse erforderlichen Daten. So decken sie beispielsweise fortschrittliche Technologien wie 3D-Nand und Logiktechnologien jenseits von 14 nm nicht ab. Darüber hinaus nehmen die meisten Unternehmen eine Top-Down-Betrachtung vor: Sie betrachten im Wesentlichen die jährliche Produktion ihrer Fabrik und schauen sich von der Beschaffung aus an, wie viel Strom, Wasser und andere Ressourcen verbraucht wurden. Was fehlt, ist eine feinere Granularität der Ergebnisse – zum Beispiel Einblicke auf Prozess- und Fab-Ebene. Eine solche Bottom-up-Ansicht würde es uns ermöglichen, Bereiche mit großen Auswirkungen zu identifizieren und Prognosen für die Zukunft zu erstellen.
Um die Datenlücke zu schließen, bedarf es eines ganzheitlichen Ansatzes und der gemeinsamen Nutzung von Emissionsdaten über den kompletten Produktionszyklus und die gesamte Lieferkette hinweg. Ich fordere daher die Halbleiterindustrie auf, so viel Transparenz wie möglich zu schaffen und ein hohes Maß an Standardisierung bei der Erfassung und Berichterstattung von Nachhaltigkeitsdaten anzustreben – in Anlehnung an die von SEMI's Semiconductor Climate Consortium (SCC) vorgeschlagenen Standards.“
Bewerten, verbessern, umdenken
„Im Jahr 2021 startete Imec sein Programm für nachhaltige Halbleitertechnologien und -systeme (SSTS), um die Wertschöpfungskette der IC-Herstellung dabei zu unterstützen, ihre Ziele in Bezug auf die ökologische Nachhaltigkeit zu erreichen. Das Programm ist auf den drei Säulen „Bewerten, Verbessern und Umdenken“ aufgebaut.
Im Zentrum der Säule 'Bewerten' befindet sich unsere selbst entwickelte Softwareplattform namens imec.netzero. Sie funktioniert wie eine virtuelle Fabrik, die eine quantifizierte Bottom-up-Ansicht der IC-Fertigung für aktuelle und zukünftige Logik- und Speichertech-nologien bietet. Die Plattform soll zum Industriestandard für die Abschätzung des Energieverbrauchs, des Wasserverbrauchs, des Rohstoffverbrauchs und der Treibhausgasemissionen werden, die mit den verschiedenen Prozessen der Chipherstellung verbunden sind. Im Vergleich zu anderen Modellen liefert es konkrete Daten bishinunter auf die Ebene der Prozessschritte und der Prozesswerkzeuge und ermöglicht so Projektionen für zukünftige Technologien und die Identifizierung von Prozessen, die die Umwelt stark belasten. Für diese Prozesse mit hoher Auswirkung werden im Rahmen der Säule 'Verbessern' Verbundprojekte umgesetzt, in denen wir Lösungen zur Minimierung ihrer Auswirkungen in den Anlagen unserer Partner oder unter Verwendung der 300mm-Fab von Imec als Pilotumgebung erforschen. Das langfristige Ziel – das im Rahmen der Säule 'Umdenken' verfolgt wird – ist die Entwicklung eines Instrumentariums für Umweltauswirkungen mit E-Metriken und Protokollen. Dies wird es am Ende erlauben, durch die Analyse von Leistung, Fläche, Kosten und Umwelt (Power-Performance-Area-Cost-Environment, PPAC-E) neuer IC-Technologien „grüne“ Technologiepfade zu finden.
Die Erkenntnisse aus dem Programm werden genutzt, um Richtlinien für die Programmteilnehmer zu veröffentlichen und mit der Semi SCC zusammenzuarbeiten, um eine Roadmap zu erstellen, die dazu beiträgt, dass die Industrie eine Netto-Nullbilanz erreicht. Auch die Wissenschaft und die breitere Öffentlichkeit werden von den gewonnenen Erkenntnissen und Daten profi-tieren. Im November 2023 haben wir eine öffentliche Version unserer Webanwendung imec.netzero freigeschaltet, um der breiten Masse ein Tool zur Verfügung zu stellen, mit dem sie sich auf hohem Niveau über die Umweltauswirkungen der Chipfertigung informieren kann. Ein solches Tool, welches über die heutigen Angebote hinausgeht, kann für Designer, die Lebenszyklusanalysen ihrer Produkte erstellen müssen, für Wissenschaftler, die die Umweltauswirkungen der IKT untersuchen, und für politische Entscheidungsträger, die Informationen über die Auswirkungen der Industrie benötigen, von großem Nutzen sein.
Unseren SSTS-Programm-Partnern bieten wir eine umfassendere Version des Tools an. Die Partnerversion nutzt dieselben Fabrikmodelle und Prozessdatenbanken wie die öffentliche Variante, bietet jedoch mehr Details, ermöglicht die Identifizierung von Bereichen mit hohen Umweltauswirkungen, modelliert zukünftige Technologien und bietet mehr Optionen zur Parametrisierung der virtuellen Fabrikmodelle. Es ermöglicht unseren Partnern, in einem der wichtigsten Innovationsbereiche unserer Branche an vorderster Front zu stehen und verschafft ihnen einen Vorsprung bei der Suche nach „umweltfreundlichen“ Technologieansätzen.“
Schlüsselfunktion für Industrieunternehmen
„Der Erfolg unseres Ansatzes hängt von der aktiven Beteiligung der Akteure aus der gesamten IC-Wertschöpfungskette ab. Wir freuen uns daher sehr, dass wir mehrere renommierte System- und Fabless-Unternehmen, Ausrüstungs-, Infrastruktur- und Materiallieferanten sowie IDMs und Foundries als Partner in unserem Programm haben.
IDMs und Foundries können uns zum Beispiel beim Benchmarking der Zahlen helfen. Wir bauen Modelle von unten nach oben auf, basierend auf Daten, die wir aus verschiedenen Quellen gesammelt haben, darunter auch aus der Fab von Imec. Aber es gibt immer einige Teile, die wir übersehen. Die Foundries hingegen haben den Blick von oben nach unten. Sie können unsere Modelle näher an die Realität heranführen und uns helfen, unser Tool weiter zu verfeinern und zu optimieren. Alle Programmteilnehmer erhalten Zugang zu einem optimalen Partnernetzwerk. Sie beraten zum Beispiel darüber, wie man eine Roadmap aufstellt, um Netto-Null zu erreichen, und dabei die gesamte Lieferkette mit ins Boot holt.“
Erste Ergebnisse: Wasserstoffrückgewinnung
„Im Rahmen der Säule ‚Bewertung‘ optimieren wir kontinuierlich unser virtuelles Fabrikmodell, indem wir die Datenbasis erweitern und die Ergebnisse einem Benchmarking unterziehen. Unser Modell basiert auf einer Bottom-up-Ökobilanz (LCA) einer generischen Großserienfertigung. Auf der IEDM-Konferenz 2023 haben wir eine LCA-Analyse der Logik-Technologieknoten (N28 bis A14) vorgestellt und unsere Arbeit mit anderen LCA-Datenbanken verglichen [1]. Bei der Bewertung der Gesamtemissionen in Bezug auf ihr Globales Treibhauspotenzial (GWP) ist festzustellen, dass unsere Schätzungen etwas niedriger sind als die anderer. Dies ist nicht sehr überraschend, da wir unser Inventar noch aufbauen und unsere Daten in den kommenden Monaten weiter verfeinern werden. Außerdem unterscheiden sich der Umfang und die Methoden der verschiedenen Studien etwas, was einen direkten Vergleich schwierig macht. In unseren Studien zeigen wir eine detaillierte Aufschlüsselung der Gesamtemissionen. Wir heben zum Beispiel die Bedeutung einer effizienten Prozessgasreduzierung hervor, da diese einen großen Einfluss auf die Reduzierung der gesamten Treibhausgasemissionen haben kann.

Im Rahmen des SSTS Improve-Projekts erarbeiten wir Lösungen für vier Schwerpunktbereiche: Energieeffizienz, Treibhausgasemissionen, Wassermanagement und Materialkreislaufwirtschaft. In Zusammenarbeit mit unserem Partner Edwards hat Imec bereits ein System zur Rückgewinnung von Wasserstoff für die Extrem-Ul-traviolett-Lithographie (EUV) in unserem 300-mm-Reinraum installiert, mit dem wir etwa 70% des Wasserstoffs zurückgewinnen und wiederverwenden können. In einem anderen Projekt konzentrieren wir uns auf die Reduzierung der Emission von fluorierten Gasen bei Ätzprozessen, die einen großen Anteil an den gesamten Treibhausgasemissionen haben. Wir konzentrieren uns nicht nur darauf, Alternativen für diese F-Gase zu finden, sondern betrachten das Ätzen ganzheitlich, indem wir zum Beispiel den Stack der für den Ätzprozess verwendeten Materialschichten optimieren. Erste Ergebnisse zeigen, dass die Optimierung des Ätzprozesses und des Stacks die Emissionen um über 60% verbessert.“
Auf dem Weg zur grünen Technologie
„Die Entwicklung neuer Technologien, z.B. für Logik und Speicher, war bisher gleichbedeutend mit der Lösung des PPAC (Power Performance Area Cost) Trade-offs. Mit den Kosten als Haupttreiber waren Umweltaspekte eine Art 'nachträglicher Gedanke'. Erst wenn Umweltaspekte die Kosten einer bestimmten Technologie erhöhen – denken Sie nur an steigende CO2-Steuern oder knappe Rohstoffe, die zu teuer werden –, beginnt die Halbleiterindustrie, nach umweltfreundlicheren Alternativen zu suchen.
Um jedoch eine wirklich nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen, müssen die Auswirkungen auf die Umwelt bereits in den ersten Phasen der Technologieentwicklung berücksichtigt werden – durch Hinzufügen eines 'E' zu PPAC. Das ist es, was wir im Rahmen der disruptiven Säule des SSTS-Programms anstreben. Die Lösung des Kompromisses zwischen PPAC und E für neue Technologien ist nicht nur komplex, sondern erfordert auch eine neue Denkweise. Wir haben Jahre gebraucht, um die richtigen Materialien zu finden und die Prozessmodule und -schritte zu verfeinern, die zum Fortschritt der Halbleiterindustrie beigetragen haben. Da-rüber hinaus darf keine der Alternativen die Leistung der bestehenden Werkzeuge und Prozesse und letztlich der Geräte beeinträchtigen. Dies mag wie eine entmutigende Aufgabe erscheinen. Aber wir sind zuversichtlich, dass wir es mit vereinten Kräften schaffen können. Schließlich steht sehr viel auf dem Spiel.“
Ausblick: Reduzierung von PFAS
„Innerhalb der Säule ‚Bewertung‘ verbessern und erweitern wir weiterhin unser Lebenszyklusinventar. Bisher haben wir Logiktechnologien – aktuelle und zukünftige Knotenpunkte – sowie DRAM- und NAND-Flash-Speichertechnologien aufgenommen. Vor kurzem haben wir begonnen, unser Portfolio um Gehäusetechnologien und moderne RF-Technologien zu erweitern. In den nächsten drei Jahren werden wir unser Lebenszyklusinventar schrittweise um weitere Technologien auf Systemebene wie die 3D-Integration erweitern. Parallel dazu bauen wir eine Systemanwendung auf, die es ermöglicht, die verschiedenen Technologien schrittweise zu einem Systempaket zu kombinieren. Dies wird es unseren Partnern ermöglichen, die Umweltauswirkungen der Herstellung vollständiger Systemlösungen zu bewerten.
Wir sind uns jedoch bewusst, dass nicht alle Umweltauswirkungen in der Metrik der CO2-Emissionen (bzw. Äquivalente) erfasst werden. Zum Beispiel enthalten viele der bei der Herstellung von ICs verwendeten Materialien PFAS (Per- und Polyfluoralkylsubstanzen). Das Bioakkumulationspotenzial dieser Stoffe hat zu einem starken gesellschaftlichen Interesse an der Eliminierung ihrer Verwendung geführt. Die Vermeidung von PFAS ist eine komplexe Aufgabe, da sie in vielen der IC-Verarbeitungsschritte enthalten sind. Sie sind zum Beispiel in chemisch verstärkten Resists für die optische Lithographie enthalten, sie sind ein wichtiger Bestandteil der meisten Kühlflüssigkeiten und sie sind in mehreren F-Gasen für die Reinigung und Ätzung enthalten. In Form von Teflon ist PFAS auch in Verarbeitungs- und Reinigungsgeräten allgegenwärtig – denken Sie an O-Ringe und andere Dichtungsprodukte. Wir sind dabei, Pläne aufzustellen, um unsere Ausrüstungs- und Materiallieferanten bei der Reduzierung von PFAS so weit wie möglich zu unterstützen, zusätzlich zu unseren Projekten, die die CO2-Emissionen direkt senken.“
PCIM 2024: Halle 5, Stand 117
Literaturhinweis
[1] ‘Cradle-to-gate life cycle assessment of CMOS logic technologies’, L. Boakes et al., 2023 IEDM