Andreas Urschitz, ZVEI-Plattform Mikroelektronik

Europa droht Marktanteile in der Mikroelektronik zu verlieren – die neue ZVEI-Plattform Mikroelektronik ist angetreten, dies zu ändern. Vorsitzender Andreas Urschitz erklärt unter anderem, warum Zusammenarbeit zwischen Industrie und Politik jetzt entscheidend ist und wie er Nachwuchs begeistern möchte. (Bild: ZVEI)

Ohne Mikroelektronik läuft in der modernen Welt fast nichts. Doch Europa droht, in diesem Schlüsselbereich den Anschluss zu verlieren. Die neue ZVEI-Plattform Mikroelektronik setzt sich dafür ein, bestehende Strukturen zu optimieren und neue Impulse für die Branche zu setzen. Andreas Urschitz erklärt als Vorsitzender im Interview, warum eine enge Zusammenarbeit zwischen Industrie und Politik entscheidend ist, welche Maßnahmen jetzt Priorität haben und wie sich Europas Wettbewerbsfähigkeit stärken lässt.

Herr Urschitz, Sie haben den Vorsitz der neuen ZVEI-Plattform Mikroelektronik übernommen. Warum braucht es diese Verbandsplattform?

Andreas Urschitz: Wir wollen im Verband die Realität abbilden. Das Mikroelektronik-Ökosystem ist komplex und weit verästelt. Da können wir als Verband nicht in Silos denken. Mit der Plattform wollen wir alle relevanten Akteure zusammenbringen. Damit machen wir den Unternehmen und auch der Politik ein einmaliges Angebot für eine ganzheitliche Perspektive.

Wie planen Sie, die Plattform strategisch zu positionieren?

Das Entscheidende ist, dass wir mit der Plattform die gesamte Wertschöpfungskette abdecken. Dabei ist es uns natürlich auch wichtig, Schnittstellen zu anderen Branchen zu schaffen – etwa der Automobil- oder Chemieindustrie. Eine Verbandsplattform ist immer auch eine Kommunikationsplattform, die vom Austausch lebt. Der Reiz besteht für unsere Mitglieder aber nicht nur darin, dass sie einen Kanal zu politischen und anderen relevanten Stakeholdern öffnen können. Wir sorgen auch für Unterstützung bei der Umsetzung von regulativen Vorgaben oder beim Einhalten von technischen Standards.

Über den Interviewpartner

(Bild: ZVEI)

Andreas Urschitz ist Mitglied des Vorstands und Chief Marketing Officer (CMO) der Infineon Technologies AG. Seit seinem Karrierestart 1995 bei Infineon (damals Siemens AG) hat er verschiedene Managementpositionen in den Bereichen Produktion, Marketing, Entwicklung und Vertrieb innegehabt. Von 2012 bis 2022 leitete er die Division Power & Sensor Systems. Seit Juni 2022 ist er als CMO für Vertrieb, Marketing und Kundenstrategie verantwortlich. Urschitz studierte Handelswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien. 2024 übernahm er den Vorsitz der ZVEI-Plattform Mikroelektronik. Sein Fokus liegt auf Digitalisierung und Dekarbonisierung.

Wie möchten Sie sicherstellen, dass die Plattform konkrete Lösungen für die dringendsten Herausforderungen der Branche entwickelt, insbesondere im Hinblick auf technologische Souveränität?

Technologische Souveränität ist ein Thema, das an vielen Fragestellungen hängt. Dazu gehört nicht nur die finanzielle Förderung der Mikroelektronik, die im globalen Wettbewerb um Fertigungskapazitäten und Firmenniederlassungen notwendig ist. Hier müssen wir in der Tat mehr tun. Es geht genauso um klassische Standortfaktoren wie Bürokratie, Energiekosten oder den nach wie vor virulenten Fachkräftemangel. Hier können wir weit mehr erreichen, wenn wir als Branche und nicht nur als einzelne Unternehmen auftreten.“

Die Studie „Von Chips zu Chancen“ zeigt, dass die Halbleiterförderung eine hohe volkswirtschaftliche Rendite hat und nach neun bis zwölf Jahren amortisiert ist. Warum, glauben Sie, wird die Bedeutung dieser Investitionen in der politischen Debatte häufig unterschätzt?

Finanzielle Fördermittel sind ein strategisches Instrument, um wie im Fall der Halbleiterindustrie technologische Souveränität und Unabhängigkeit von internationalen Lieferketten zu steigern. Die Vorteile erschließen sich häufig erst im Krisenfall, wenn es eben zu Knappheiten kommt. Dann ist es allerdings zu spät. Der Bau einer Halbleiterfertigung braucht mehrere Jahre.

Andreas Urschitz, ZVEI-Vorstand/ Infineon über die Effizienzwende

Zitat

Wir dürfen Entscheidungen einzelner Unternehmen nicht mit politischen Fehlern verwechseln.

Trotz dieser positiven Effekte stellt die Studie klar, dass das EU-Ziel von 20 Prozent Weltmarktanteil bei Halbleitern bis 2030 kaum erreichbar ist.

Dieses Ziel liegt vor allen Dingen deswegen in weiter Ferne, weil der globale Halbleitermarkt stark wächst. Das wird auf absehbare Zeit auch so bleiben. Wenn überall auf der Welt mehr Fabs als in Europa entstehen, weil wir unser Engagement eben nur auf dem gleichen Niveau wie bisher halten, werden wir zwangsläufig Marktanteile verlieren.

Welche zusätzlichen Maßnahmen wären notwendig, um dieses Ziel realistischer zu machen?

Die Förderung der Branche war und ist die richtige Strategie, auch wenn es im vergangenen Jahr Rückschläge gegeben hat. Wir dürfen Entscheidungen einzelner Unternehmen nicht mit politischen Fehlern verwechseln. Im Gegenteil: Wir tun gut daran, uns weiter ambitionierte Ziele zu setzen. Dazu müssen wir aber auch die Rahmenbedingungen – also Energiekosten und -sicherheit sowie den Fachkräftemangel – verbessern. Andernfalls verlieren wir weiter Marktanteile und erhöhen das Risiko, in einseitige Abhängigkeiten zu geraten.

Die Studie warnt davor, dass Europa beim Marktanteil von Leiterplatten und der Elektronikfertigung dramatisch zurückfällt. Wie sehen Sie die Rolle der Plattform Mikroelektronik bei der Förderung dieser Bereiche?

Auch hier geht es darum, Sichtbarkeit und Problembewusstsein zu schaffen. Sie können im Grunde jedes Gerät aufschrauben und werden darin eine Leiterplatte finden. Ohne diese Komponenten läuft buchstäblich nichts. Anfang der 2000er Jahre kamen noch 20 Prozent der Leiterplatten aus Europa. Mittlerweile liegen wir bei einem Anteil von zwei Prozent. Das Gros der Platten kommt inzwischen aus Asien. Um das zu ändern, sind auch regulatorische Hürden zu beseitigen – und darauf machen wir beispielsweise aufmerksam.

Geopolitische Spannungen und Dumpingpreise aus China bedrohen europäische Hersteller. Welche Rolle sollte die Plattform Mikroelektronik spielen, um die Branche hier zu schützen und resilienter zu machen?

Die Plattform fungiert als Sprachrohr für die Branche. Sie schafft die Verbindung zu den politischen Entscheidern und Mandatsträgern, aber auch zu anderen Verbänden und Forschungseinrichtungen.

Es wird geschätzt, dass durch die Mikroelektronikförderung allein in Deutschland 49.000 neue qualifizierte Arbeitsplätze entstehen könnten. Wie möchte die Plattform dazu beitragen, dass diese Stellen auch besetzt werden?

Trotz der gegenwärtig trüben Konjunktur müssen wir uns verdeutlichen, dass wir noch immer keine Lösung für den Fachkräftemangel haben. Um entsprechend hochqualifizierte Kräfte auszubilden, zu halten und auch international anzuwerben, braucht es attraktive Rahmenbedingungen. Diese Stellschrauben werden maßgeblich von der Politik bestimmt. Hier bieten wir unsere Perspektive und Gestaltungsvorschläge an und tragen so dazu bei, das Problem anzupacken und zu lösen.

Was ist generell Ihrer Meinung nach der Schlüssel, um junge Talente und neue Zielgruppen für diese Branche zu begeistern?

In der Mikroelektronik hat man die einmalige Chance, Lösungen für die größten Herausforderungen unserer Zeit zu entwickeln. Unsere Produkte und Technologien sind essenziell, um die grüne und digitale Transformation voranzutreiben. In meiner täglichen Arbeit bei Infineon erlebe ich, dass das gerade für junge Mitarbeitende ein unheimlich starker Motivationstreiber ist. Unsere Branche kann diesen klaren USP noch viel stärker breitenwirksam kommunizieren, und das werden wir in Zukunft tun – auch über die Plattform Mikroelektronik.   

Welche drei Prioritäten sollten aus Ihrer Sicht sofort angegangen werden, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Mikroelektronikindustrie zu sichern?

Kraftvoll und gezielt fördern, Standortbedingungen verbessern und auf der internationalen politischen Bühne europäisch denken und handeln. Wir dürfen uns vor allem in Anbetracht der gegenwärtigen geopolitischen Situation nicht ins Kleinklein der Nationalstaatlichkeit hineinziehen lassen. Wenn uns all das gelingt, dann haben wir in Deutschland und Europa die Chance, mithilfe einer starken Mikroelektronikindustrie einen Spitzenplatz im Bereich Zukunfts- und Nachhaltigkeitstechnologien zu erreichen.

Der Autor: Dr. Martin Large

Martin Large
(Bild: Hüthig)

Aus dem Schoß einer Lehrerfamilie entsprungen (Vater, Großvater, Bruder und Onkel), war es Martin Large schon immer ein Anliegen, Wissen an andere aufzubereiten und zu vermitteln. Ob in der Schule oder im (Biologie)-Studium, er versuchte immer, seine Mitmenschen mitzunehmen und ihr Leben angenehmer zu gestalten. Diese Leidenschaft kann er nun als Redakteur ausleben. Zudem kümmert er sich um die Themen SEO und alles was dazu gehört bei all-electronics.de.

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