Das stillgelegte Kohlekraftwerk im saarländischen Ensdorf mit einer Animation der geplanten 200-Millimeter-Siliziumkarbid-Halbleiterfabrik von Wolfspeed und ZF.

Das stillgelegte Kohlekraftwerk im saarländischen Ensdorf mit einer Animation der geplanten 200-Millimeter-Siliziumkarbid-Halbleiterfabrik von Wolfspeed und ZF. (Bild: ZF / Wolfspeed)

Update, 01.02.2023: ZF und Wolfspeed geben Bau von SiC-Fab bekannt

Die Partnerschaft umfasst eine finanzielle Beteiligung von ZF am geplanten Bau der weltweit größten 200-mm-Siliziumkarbid-Halbleiterfertigung im saarländischen Ensdorf. Wolfspeed wird dort eine hochautomatisierten 200-Millimeter-Wafer-Fabrik bauen. ZF beabsichtigt diesen Neubau mit einem dreistelligen Millionen-Euro-Betrag im Tausch gegen Wolfspeed-Stammaktien zu unterstützen. Als Teil dieser Investition erhält ZF eine Minderheitsbeteiligung an der Fabrik in Ensdorf. Die Kontrolle und operative Leitung der neuen Fabrik liegt bei Wolfspeed.

Zudem soll ein gemeinsames Forschungszentrum entstehen, dass sich auf die Herausforderungen im Bereich der Elektromobilität und der erneuerbaren Energien konzentriert. Das Ziel der Zusammenarbeit ist die Entwicklung von Innovationen für Siliziumkarbid-Systeme, -Produkte und -Anwendungen – und zwar über die gesamte Wertschöpfungskette vom Chip bis hin zu kompletten Systemen. Das Forschungszentrum wird sich auf Innovationen für Siliziumkarbid-Systeme und -Bauteile konzentrieren, um die spezifischen Anforderungen in allen Mobilitätssegmenten, einschließlich Verbraucher-, Nutz-, Landwirtschafts- und Industriefahrzeuge, sowie in den Bereichen Industrie und erneuerbare Energien zu erfüllen.

Frank Bösenberg, Geschäftsführer Silicon Saxony e.V. kommentierte die Entscheidung wie folgt: „Silicon Germany wächst. Wolfspeed zeigt, Deutschland ist ein attraktiver Halbleiter-Produktionsstandort in Europa. Gemeinsam mit ZF leistet das Chip-Unternehmen einen wichtigen Beitrag zur Transformation der deutschen Automobilindustrie.“

Stream vom 1.2.2023: Wolfspeed und ZF verkünden Partnerschaft zur Zukunft der Siliziumkarbid-Halbleiter-Technologie

Stand vom 26.1.2023: Gerüchte und Einschätzung zu den Gerüchten um den Bau der SiC-Fertigung von ZF und Wolfspeed

Die Energiewende inklusive E-Autos, Lade-Infrastruktur etc. schaffen wir nur mit Leistungshalbleitern, aber die sind noch auf lange Zeit hinweg ein äußerst knappes Gut. Da ist es nicht verwunderlich, dass ZF sich Medienangaben zufolge an einer neuen SiC-Fabrik beteiligen möchte, die Wolfspeed im Saarland bauen möchte. Offiziell sind das alles Spekulationen, und eine Nachfrage bei ZF und Wolfspeed liefert nur ein „Kein Kommentar. Wir äußern uns grundsätzlich nicht zu Spekulationen.“ Da allerdings keines der Unternehmen auch nur den Versuch eines Dementis unternimmt, dürfte die Wahrscheinlichkeit hoch sein, dass wir bald eine offizielle Verlautbarung dieser Unternehmen bekommen. Aber der Reihe nach.

Halbleiterfab von Wolfspeed im Saarland als „Meilenstein im Strukturwandel“?

Letztes Wochenende berichtete die Saarbrücker Zeitung, etwa parallel zu einem Bericht im Handelsblatt, über eine „große Chance durch Milliarden-Ansiedlung im Saarland“, welche die IHK des Saarlands in diesem eher lokalen Medium dann sogleich als „Meilenstein im Strukturwandel“ titulierte. In der Tat ist das ein großer Fisch, den das in punkto Arbeitsplätze so gebeutelte Saarland da offensichtlich an der Angel hat. Zuerst die Zechenschließungen, dann Fords Ankündigung, das Werk in Saarlouis 2025 zu schließen (Um Fords andere Ankündigungen, Fertigungs- und Entwicklungsaktivitäten zu reduzieren sowie in Bezug auf die signifikanten Änderungen in der Modellpalette soll es hier nicht gehen). Da ist es sehr begrüßenswert, dass ein extrem zukunftsträchtiger Fisch an der Angel ist, denn Siliziumkarbid-Halbleiter (SiC) sind mit ihrem hohen Wirkungsgrad die Power-Technologie schlechthin, wenn es um höhere Spannungen/Leistungen geht.

Dresden könnte Vorbild für das Saarland bei der Halbleiterei werden

Wir wissen alle, dass eine Halbleiterfabrik auch viele Unternehmen in der Peripherie nach sich zieht, so dass die etwa 1000 Arbeitsplätze in der avisierten Fab erst der Anfang sein werden. Der Halbleitercluster Dresden zeigt, welches Moment aus einer einzigen Ansiedlungsentscheidung entstehen kann. Und während es in Sachsen um Mikroelektronik geht, hat das Saarland jetzt die Möglichkeit, eine ähnlich Erfolgsgeschichte in Sachen Wide-Bandgap-Leistungshalbleiter hinzulegen.

Sie sehen, ich habe schon vom Konjunktiv zum Indikativ gewechselt, denn für mich scheint der Deal mehr oder weniger unter Dach und Fach zu sein. Das Branchengeflüster, oder besser gesagt das Branchenschweigen, spricht für mich Bände. Höchstwahrscheinlich fehlt noch eine offizielle Bewilligung der Förderung durch die EU. Da von Fab-Kosten in Höhe von mindestens 2 Milliarden Euro auszugehen ist, dürfte es um einen Förderbetrag von 800 Millionen Euro gehen – ein Betrag, für den sich das Schweigen gegenüber den Medien lohnt.

ZF wird sicherlich nur einen Minderheitsanteil an der Wolfspeed-Fab erwerben. Der US-Konzern hat Mitte November 2022 ja schon gezeigt, wie so eine Beteiligung aussehen könnte. Damals wurde bekannt, dass der Tier-1-Zulieferer BorgWarner sich mit 500 Millionen Dollar an Wolfspeed beteiligt, um sich einen „Kapazitäts-Korridor“ (Originalton!) für Siliziumkarbid-Bausteine zu sichern. Nebenbei bemerkt sicherte sich fast zeitgleich der OEM Stellantis SiC-Kapazitäten bei Infineon. Für ZF ist eine Beteiligung an einer SiC-Fab von Wolfspeed aus meiner Sicht ein sehr logischer Schritt, zumal ZF ja seit 2019 bereits eine strategische Partnerschaft mit Cree unterhält, das in Wolfspeed aufging.

Seitdem entwickeln Cree/Wolfspeed und ZF gemeinsam SiC-Halbleiter für E-Antriebe, was auch für den Halbleiterhersteller von Vorteil ist, denn ZF ist nicht nur bei Pkw sehr gut im Geschäft, sondern auch bei Lkw und Bussen, Land- und Baumaschinen sowie im industriellen Bereich. Das klingt sehr nach Win-Win-Situation, und das Saarland sowie die Menschen im deutsch-französischen Grenzgebiet sind Gewinner Nr. 3.

Was eine ZF-Fertigung im Saarland bei Know-how und Personal bringen könnte

Bei der Standortentscheidung dürfte ZF viel Gewicht auf die Waage gelegt haben, denn im Saarland betreibt ZF sein größtes Werk: 9000 Menschen stellen dort Getriebe her, von denen die meisten in Pkw mit Verbrennungsmotoren wandern. Zwar baut ZF derzeit seinen Standort Saarbrücken zum Leitwerk für elektrische Antriebsachsen aus, aber auch ein hochintegrierter Elektroachsantrieb benötigt bei weitem nicht so viele mechanische Arbeitsschritte wie ein hochkomplexes Automatikgetriebe. Von daher zeigt die Standortentscheidung auch, wie sehr sich ZF als Arbeitgeber engagiert. Bei der geringen Masse von Halbleitern dürfte die Nähe zum E-Achsen-Werk eher ganz hinten auf der Prioritätenliste stehen.

Während Wolfspeed bei der Fertigung das Sagen und die Mehrheit hat, könnte ich mir gut vorstellen, dass ZF bei dem ebenfalls geplanten Forschungs- und Entwicklungsstandort für SiC-Halbleiter die Federführung und dann eben auch die Mehrheitsbeteiligung übernimmt. Dieser R&D-Standort wird dann nicht zwangsläufig im Saarland angesiedelt sein; vermutlich prüfen die zwei Firmen derzeit noch, wo F&E dieser deutsch-amerikanischen SiC-Halbleiter stattfinden sollen. Mit einer derart engen Beziehung zur Chipentwicklung (ZF profitiert von Wolfspeed) bzw. zur Applikation (Wolfspeed profitiert von ZF) sind die Unternehmen in Kerntechnologien für den Zukunftsmarkt Elektromobilität wirklich gut aufgestellt. Wie wichtig diese Nähe von Halbleiterei und Applikation ist, zeigt auch Bosch mit seiner eigenen SiC-Fertigung. Aber was heißt das für Zulieferer wie Continental, die (momentan noch) keinen derart direkten Draht zur Halbleiterebene haben?

Neue Halbleiter statt alter fossiler Technologien

Vor meinem inneren Auge entstehen schon die Schlagzeilen der Publikumspresse, dass auf dem Gelände eines stillgelegten Kohlekraftwerks in Ensdorf/Saar statt alter fossiler Technologie jetzt Halbleiter der neusten Technologie in Reinräumen gefertigt werden, die dafür sorgen, dass das Saarland jetzt auch bei der dritten Industrie-Generation nach Kohlezechen und Verbrenner-Fahrzeugen eine Rolle spielt. Dem deutschen Umwelt- und Wirtschaftsminister dürfte das eine Erwähnung in seiner Rede Wert sein. Dass die Saarländer übrigens etwas bewirken können, zeigen die jüngst etablierten Aktivitäten im Bereich Künstliche Intelligenz, wo ZF ebenfalls involviert ist.

Da hoffen wir doch mal, dass die Ankündigung der Saarbrücker Zeitung bald offiziell bestätigt wird, der zufolge Bundeskanzler Scholz und Vizekanzler Habeck am 1.2.2023 im Saarland weilen sollen, wenn das Projekt offiziell vorgestellt wird. Das wäre ein sehr gutes Zeichen für das Saarland, für Deutschland, für Europa und für die Branche.

Der Autor: Alfred Vollmer

Alfred Vollmer
(Bild: Hüthig)

Alfred Vollmer interessiert sich nicht nur für Technik per se in vielen Facetten und Einzelheiten sondern auch dafür, wie sich diese Technik im wirtschaftlich-gesellschaftlichen Rahmen sinnvoll anwenden, umsetzen und nutzen lässt. Der Dipl.-Ing. hat bereits während des Studiums der Elektrotechnik sein Faible fürs Schreiben entdeckt und ist mit über 30 Jahren Branchenerfahrung ein bestens vernetztes Urgestein der europäischen (Automobil-)Elektronik-Fachpresse. Er fragt gerne detailliert nach und lässt dabei auch die ökologischen Aspekte nicht aus. Mit vielen seiner (Elektrotechnik-)Prognosen lag er richtig, aber manchmal sorgten auch sehr spezifische Marktmechanismen dafür, dass es ganz anders kam…

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